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Meinung Referendum

Spanier und Katalanen haben sich völlig verrannt

Der 1. Oktober wird gefährlich für ganz Spanien

Am 1. Oktober will Katalonien darüber abstimmen, ob es sich von Spanien lossagt. Dieser 1. Oktober wird ein gefährlicher Tag. Für das gesamte Land und für die EU.

Quelle: N24

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Kataloniens Referendum am 1. Oktober wird gefährlich für ganz Spanien. Ein großes europäisches Land droht wegen politischer Torheit auseinanderzubrechen. Das zu verhindern ist auch eine europäische Aufgabe.

Nein, heißt es aus Madrid, ihr dürft nicht abstimmen. Das werden wir aber, gibt Barcelona zurück. Werdet ihr nicht, donnert Madrid und schickt Polizei in katalanische Druckereien, um Wahlwerbung zu beschlagnahmen.

Dann gehen wir eben ins Internet, sagen die in Barcelona, und Madrid lässt die Webseite sperren. Also werfen sich die Katalanen Sandwichplakate über und marschieren über Barcelonas Boulevards. Ihr Foto erscheint in allen Medien, kostenlose Werbung für das Referendum.

Proteste und Festnahmen in Katalonien

Demonstranten haben versucht den Abtransport von Wahlmaterial für das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien zu verhindern. Derweil wurden Mitarbeiter der Regionalregierung festgenommen.

Quelle: N24

Und so geht es hin und her, der Ton wird immer aggressiver. Bisheriger Höhepunkt ist nun die Razzia in Büros der katalanischen Regierungsgebäude. Die Militärpolizei Guardia Civil nimmt ein Dutzend Politiker fest, draußen skandieren aufgebrachte Katalanen: „No pasarán“, sie werden nicht durchkommen, den alten Schlachtruf der Republikaner gegen die Faschisten im Bürgerkrieg.

Was sich in diesen Tagen in Spanien abspielt, ist ein Machtkampf, mit großem Sinn für hochdramatische Gesten und Symbole. Ein Irrwitz. Was dabei an politischer Kultur zerstört wird, aus Starrsinn, Verantwortungslosigkeit, Staatsautoritarismus, Populismus und Übermut, wird auf Jahrzehnte hinaus Wirkung zeigen.

Sich aus Übermut von Spanien lossagen

Am 1. Oktober will Katalonien darüber abstimmen, ob es sich von Spanien lossagt. Dieser 1. Oktober wird ein gefährlicher Tag. Für das gesamte Land. Und für die EU. Sie kann es sich nicht leisten, dass ein so großer Mitgliedstaat wegen politischer Torheit auseinanderbricht. Doch niemand aus Brüssel versucht, zwischen den Fronten zu vermitteln.

Bei der Finanzkrise gab es einen europäischen Rettungsschirm. Jetzt bräuchte es wieder einen, einen Rettungsschirm für die spanische Kommunikationskrise. Da haben sich zwei verrannt und sitzen nun in der Falle. Jeder in seiner eigenen. Wie kommt man da raus? Wenn überhaupt, dann nur auf dem Hochseil der Diplomatie. Es aufzuspannen ist schwierig, die Geschichte ist verzwickt.

Katalonien will von Spanien unabhängig werden. Dieser Satz ist so wahr wie falsch. Weil nicht alle, die in Katalonien leben, für eine Abkoppelung von Spanien sind. In den Meinungsumfragen der letzten Jahre war nicht einmal die Mehrheit dafür, sondern meist nur knapp die Hälfte, die größte Zustimmung kommt vom Land, in den Großstädten ist man eher gegen eine Loslösung.

Die Katalanien sind nicht entrechtet und arm

Falsch ist der Satz auch, weil der Separatismus keine Unabhängigkeitsbewegung ist – jedenfalls keine, wie man sie sich klassischerweise vorstellt. Die Katalanen sind kein armes, entrechtetes Volk, dem man nur wünschen kann, dass es die Kraft findet, sich von seinen Ketten zu befreien.

Katalonien ist die wirtschaftlich stärkste Region der iberischen Halbinsel, es hat die modernsten Industrien, eine jahrhundertealte Handelstradition, ein selbstbewusstes Bürgertum, und zumindest für viele Ausländer ist das Land zwischen Pyrenäen und Mittelmeer nicht nur der am besten funktionierende, sondern auch der liberalste Teil Spaniens.

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Die Regierung dieser erfolgreichen Region beruft sich nun ausgerechnet auf ein Land wie das Kosovo, um ihr Vorgehen zu rechtfertigen. Wenn eine einfache Mehrheit für die Abkoppelung von Spanien stimmt, soll ab 2. Oktober die unabhängige Republik Katalonien entstehen.

Die dazu notwendigen Gesetze wurden vor zwei Wochen auf abenteuerliche Weise durchs Regionalparlament gepeitscht. Das ist ein Verfassungsbruch. Kein heroischer Kampf für die Unabhängigkeit. Und schon gar kein zweites Kosovo. Sondern Wunsch und Werk von Nationalisten.

Wie der Nationalismus wuchs

Das ist das Ärgerliche für viele in Spanien, die dem Machtkampf zwischen Madrid und Barcelonas nur kopfschüttelnd zusehen können. Man hat es so viele Jahre kommen sehen. Und laufen lassen. Mehr als das: Die Zentralregierung in Madrid, vor allem die konservative Partei des Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, hat viel dazu beigetragen, dass der Nationalismus in Katalonien massentauglich wurde.

Vor elf Jahren verhinderte die damals noch oppositionelle Partido Popular mit einer Verfassungsklage die Reform des katalanischen Autonomiestatuts. Das war der Urknall. Nicht nur die Separatisten fühlten sich da vor den Kopf gestoßen.

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Die Reform hätte Katalonien mehr Selbstverwaltung und wohl auch einen günstigeren Finanzausgleich mit den anderen Regionen gebracht – beides bis heute zentrale Forderungen. Sicher ist: Ohne Verhandlungen darüber wird es keine Befriedung der Situation geben. Das Autonomiestatut muss noch einmal auf den Tisch.

Alles, was die Separatisten sonst noch so auffahren, ist Populismus. Die Beschwörung uralter katalanischer Könige, die Umdeutung eines Erbfolgekriegs in eine Sezessionsbewegung, die Vergleiche der Madrider Konservativen mit den katalonienfeindlichen Schergen der Franco-Diktatur, die neue Feier der alten Tänze und Feste und Gebräuche – viel Geschichtsklitterung und Folklore.

Starre Zentralregierung in Madrid

In der großen Wirtschaftskrise, in die Spanien ab 2008 rutschte, als auch in Katalonien bitter gespart wurde, kamen die Einflüsterungen der Separatisten besonders gut an: „Alleine wären wir viel stärker, wenn wir nicht ganz Spanien mit durchfüttern müssten.“

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Nichts aber hat die Absetzungsbewegung so beflügelt wie die starre Haltung der Zentralregierung in Madrid. Ein Volksentscheid über eine Loslösung von Spanien ist in der Verfassung nicht vorgesehen, also kann es ihn auch nicht geben, Punkt. Gesprächsbedarf? Sieht die Regierung Rajoy bis heute nicht. Sie reagiert auf den „separatistischen Staatsstreich“, wie Rajoy es nennt, ausschließlich mit polizeilichen und gerichtlichen Schritten.

Amtsenthebungsverfahren, Sperrung der Konten der katalanischen Regierung, 700 Bürgermeister, die in ihren Gemeinden das Referendum abhalten wollen, droht Gefängnis. „Zwingen Sie uns nicht in eine Richtung, in die wir nicht wollen“, warnt Rajoy. So redet man mit Nordkorea. Vertrauen von Staatsbürgern gewinnt man damit nicht zurück.

Besser wie Schottland gemacht

Jetzt erscheint es als Fehler, dass sich Spanien kein Beispiel an Großbritannien genommen hat. Dort ließ man die Schotten abstimmen, Ergebnis: keine Mehrheit für den Ausstieg. Auch in Katalonien hat es Jahre gegeben, in denen das Referendum vermutlich folgenlos geblieben wäre.

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Doch nun wollen mehr als 70 Prozent der 7,5 Millionen Katalanen ein Referendum. Nicht unbedingt weil sie für die Unabhängigkeit sind, aber aus Wut über die Regierung in Madrid. Und je mehr Sanktionen aus Madrid kommen, desto mehr wird es in Barcelona zur Frage der Selbstbehauptung, zivilen Ungehorsam zu zeigen. „Die in Madrid“, so spotten nicht wenige der Separatisten, „sind unsere besten Verbündeten.“

Die Stimmung ist so aufgeheizt, dass niemand weiß, wie sich die Wahl ohne Gewaltandrohung verhindern lässt. Doch selbst wenn – was nützt es noch? Dann geht der 1. Oktober 2017 eben als der Tag in die katalanistische Heldensaga ein, an dem die Stimme des mutigen Volks von kruder Staatsgewalt erstickt wurde.

Der Konflikt mit Katalonien wird dadurch nicht befriedet. Das geht nur im Dialog, und den muss offenbar ein Unbeteiligter anschieben. Brüssel sollte sich auf dieses Hochseil wagen.

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