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Politik

Bei Mord AfD wählen

Politischer Korrespondent
Fakten? Egal. Die Alternative für Deutschland sucht die Münchner Bluttat zu instrumentalisieren

Um 21.38 Uhr am Freitagabend bat die Polizei München die Nutzer von sozialen Netzwerken, sich mit Spekulationen und Diskussionen über die Schießerei im Münchner Einkaufszentrum zurückzuhalten: „Damit würdet ihr uns sehr unterstützen.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte die Alternative für Deutschland (AfD) allerdings längst damit begonnen, die Gräueltat politisch auszuschlachten.

Bereits um 21.06 Uhr setzte der AfD-Pressesprecher Christian Lüth einen Wahlaufruf für seine Partei ab. „AfD wählen! Schüsse am Olympia Einkaufszentrum: Tote in München – Polizei spricht von akuter Terrorlage“, schrieb Lüth bei Twitter. Nach empörten Reaktionen, in denen ihm vorgeworfen wurde, das Leid anderer Menschen für Propaganda und Hetze zu missbrauchen, löschte er den Tweet später. Dafür sprang André Poggenburg ein. Der AfD-Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt wusste bereits um 21.58 Uhr, wer für die bis dahin noch völlig ungeklärte Tat die Schuld trägt: „Merkel-Einheitspartei: danke für den Terror in Deutschland und Europa!“ Auch über die Mitschuldigen wusste Poggenburg Bescheid, „verblendete GutmenschInnen“ nämlich, außerdem „Merkler“ und die „Linksidioten“. Der sächsische Landesverband der AfD fügte hinzu: „Der Terror ist wieder zurück! Wann macht Frau Merkel endlich die Grenze dicht!“

Das lässt sich als Instrumentalisierung eines Verbrechens ohne Rücksicht auf Fakten verstehen, frei nach dem Motto: Bei Mord bitte AfD wählen. Poggenburg allerdings, den seine Partei für das Amt des Landtags-Vizepräsidenten in Sachsen-Anhalt nominiert hat, verteidigte sich: Er habe nur auf die schlechte Sicherheitslage durch den Personalabbau bei der Polizei hinweisen wollen.

So läuft das häufiger in der AfD. Es ist eine beliebte Strategie in der Partei, Entgleisungen durch nachträgliche Relativierung, Erklärversuche oder Distanzierung zu verharmlosen. Das wird im Fall München nun schwierig, weil die halbe Führungsspitze den Versuch unternahm, die Bluttat parteipolitisch auszuschlachten.

Parteichefin Frauke Petry twitterte zu einem Foto von Kranken- und Polizeiwagen aus dem Münchner Einsatz den Hashtag „#afdwählen“. Die Berliner AfD-Landesvorsitzende Beatrix von Storch – bereits in der Vergangenheit als Befürworterin eines Waffeneinsatzes gegen Flüchtlinge an den Grenzen in Erscheinung getreten – , widmete sich erneut ihrem Lieblingsthema. Sie zeigte sich erleichtert, dass es die „Grenzschutzeinheit“ GSG9 noch gebe. Das darf als Hinweis darauf verstanden werden, dass ein Flüchtling als Täter in München der AfD besser ins politische Konzept gepasst hätte. Der saarländische AfD-Funktionär Mirko Welsch forderte jedenfalls noch am Samstagmorgen, als ein islamistischer Hintergrund der Tat längst ausgeschlossen war, „Rote Karten für Islamisten“ als Folge des Attentats von München.

Entgleisungen im Netz gab es hauptsächlich von Repräsentanten der AfD – aber nicht nur. Auch Maximilian Krah, Beisitzer im Dresdner CDU-Vorstand, versuchte via Twitter, politisches Kapital aus dem Attentat zu schlagen. „Ich bin in München. Das muss der Wendepunkt sein: Die Willkommenskultur ist tödlich. Es geht um unser Land!“, twitterte Krah zu einem Zeitpunkt, als Nachrichtenlage und Hintergründe der Tat noch völlig unklar waren.

Allerdings gibt es in der Dresdner Union noch Parteifreunde, die sein Gebaren und auch spätere Erklärversuche umgehend verurteilten: Krah habe mit seinem privaten Tweet nicht für den Kreisverband gesprochen, hieß es bei Twitter und direkt an den Politiker gewandt: „Den Schaden hätten Sie uns allen ersparen können.“

Wie man soziale Netzwerke in einer Krisenlage sinnvoll nutzt, das machte die Polizei München vor. Die Beamten informierten die Bevölkerung per Twitter und Facebook über den laufenden Einsatz und die Lage in der Stadt – und das viersprachig. Am Ende der langen Einsatznacht schließlich verließ auch die Polizei mit einem Tweet die Faktenebene, freilich anders als die AfD: „Wir sind in Gedanken bei allen Verletzten und trauern mit ihnen um die Toten.“

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