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Flüchtlingsdebatte Ein Graben durch Deutschland

Die anderen sind verrückt, und was sie sagen, hat keinen Wert: Die deutsche Flüchtlingsdebatte ist gekennzeichnet von Abschottung und Ausgrenzung. Unser Gastautor Helmut Däuble analysiert die Argumentationsmuster beider Seiten.
Demonstranten in Potsdam: Gegenseitige Verunglimpfung

Demonstranten in Potsdam: Gegenseitige Verunglimpfung

Foto: Ralf Hirschberger/ dpa
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Helmut Däuble, Jahrgang 1961, lehrt Politikwissenschaften und Politische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

Seit Jahren ist die amerikanische Gesellschaft zutiefst zerrissen und das öffentliche wie oft auch private Gesprächsklima völlig vergiftet. Hier die Anhänger der konservativen Republikaner, die von ihrem rechten Flügel - der Tea-Party - vor sich hergetrieben werden, da die liberalen Demokraten um Barack Obama. Ein Zustand, der seit Längerem mit dem Begriff der Divided Nation versehen wird.

Sind wir in Deutschland dabei, ebenfalls eine dauerhaft Geteilte Gesellschaft zu werden? Ist das Zerwürfnis bei uns, das sich aus dem Streit um den richtigen Umgang mit der Flüchtlingspolitik ergibt, schon so weit fortgeschritten, dass man Angst haben muss vor einer nicht zu überbrückenden Kluft zwischen den gesellschaftlichen Lagern?

Es spricht viel dafür, dass wir auf dem besten Weg in diese Richtung sind. Der Grund dafür liegt in einem gegenseitigen Absprechen vernünftigen Denkens und an einer zunehmenden argumentativen Abschottung beider Seiten.

Die der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik ablehnend gegenüberstehende Seite, die nicht offen fremdenfeindlich oder völkisch argumentiert, betont die Nachteile der aktuell sehr zahlreichen Zuwanderung. Genannt werden - neben den Hinweisen auf das Erreichen der gegenwärtigen "infrastrukturellen Belastungsgrenze", auf den deutschen Sonderweg und auf die Unmöglichkeit, sämtliche Beladenen dieser Welt bei uns aufzunehmen - die hohen Kosten, die mit der anstehenden Integration der jetzt Kommenden verbunden sind. Es herrscht hier die Sorge vor, dass die Neuankömmlinge auf absehbare Zeit ein massives "Zuschussgeschäft" darstellen, von dem völlig unsicher ist, ob es sich jemals in Form einer Netto-Einzahlung in die Sozialsysteme "rentiert". Warum - so deren Argument - gefährdet eine Wohlstandsgesellschaft wie die unsere ohne Not die Prosperität ihrer autochthonen Mitglieder?

Demonstration für Solidarität mit Flüchtlingen in Dresden: Gegenargumente werden verblendet

Demonstration für Solidarität mit Flüchtlingen in Dresden: Gegenargumente werden verblendet

Foto: Zentralbild/ picture alliance / dpa

Die zentralen nicht-ökonomischen Argumente beziehen sich auf die behauptete Unintegrierbarkeit bzw. Passungenauigkeit von Menschen aus bestimmten anderen Kulturkreisen. Die Probleme, die die Einwanderungsgesellschaft Deutschland ohnehin schon habe (Parallelgesellschaften, Ehrenmorde, rechtsfreie No-go-Zonen, Salafismus etc.), würden durch die neuen, mehrheitlich muslimischen Zuwanderer massiv verstärkt. Die Kölner Exzesse an sexueller Gewalt werden dafür als schlagender Beweis angesehen. Überhaupt wird die Zunahme des muslimischen Bevölkerungsanteils mit dem Anwachsen menschenrechtsverletzenden Gedankenguts verknüpft: Sexismus, Homophobie, Antisemitismus seien die automatischen Mitläufer in den Flüchtlingsunterkünften, religiöser Fundamentalismus das gleichsam natürliche Mitbringsel von Menschen, die einer "unaufgeklärten Religion" anhängen würden.

Warum sollten wir Deutschen das besser "schaffen"?

Als Argument für das zwangsläufige Misslingen der Integrationsbemühungen genügt dieser Seite der Hinweis auf die Erfahrungen der französischen Gesellschaft mit den Zuwanderern aus dem Maghreb. Warum sollten wir Deutschen das besser "schaffen"? Die Franzosen hätten uns doch gezeigt, dass diese Mühe scheitern wird. Man müsse denselben Fehler nicht zweimal machen.

Die Gegner einer allzu offenen Flüchtlingszuwanderung sind zudem der festen Überzeugung, dass die Mehrheit der Deutschen so denkt und dass daher ihre Positionierung - käme es zu einem Volksentscheid - sich auch demokratisch legitimieren ließe.

Wer diese "Prämissen" infrage stellt, wird von ihnen selten ernst genommen, weil sie ihre Argumente als empirisch gesichert und damit als realistisch erachten. Refugees-welcome-Befürworter werden dagegen als idealistische Altruisten, als Realitätsverweigerer oder als utopische Spinner einer offenen Weltgesellschaft wahrgenommen, deren Argumente meist zwar gehört, selten aber wirklich abgewogen werden. Die Abschließung der Gedankenwelt des Contra-Lagers ist weit fortgeschritten, und Gegenargumente werden häufig als verblendet und damit als nicht diskutierwürdig wahrgenommen.

Wer nun glaubt, die Pro-Seite sei da gänzlich anders, täuscht sich. Sie verhält sich gleichsam spiegelbildlich.

Sind wir Flüchtlingen eine großzügige Offenheit schuldig?

Die Genfer Flüchtlingskonvention zum einen und der Asylparagraf des Grundgesetzes zum anderen - so das argumentative Grundmuster der Befürworter-Seite - seien normative Grundlagen, deren Bindewirkung wenig bis keinen Spielraum lasse, die hier um Schutz Anklopfenden ungeprüft abzuweisen. Die ansonsten fällig werdenden humanitären Katastrophen würden sich zu dauerhaften Kainsmalen unserer Gesellschaft entwickeln. Verbunden wird das mit dem moralischen Argument, dass Deutschland diese Chance nutzen sollte, um endgültig zu zeigen, wie wenig es gemein hat mit der 33/45-Diktatur. Diese grundsätzliche Überzeugung, dass wir Flüchtlingen gegenüber aus historischen Erfahrungen heraus, die sich in den Grundrechten - insbesondere in der Achtung der Würde des Menschen - verdichten, eine großzügige Offenheit schuldig seien, wird ebenfalls sozio-ökonomisch und kulturell untermauert.

Zum einen ist es der Hinweis auf die demografische Entwicklung der letzten Jahrzehnte, die - ohne Zuwanderung - zu einem steten Abschmelzen der 15- bis 65-Jährigen und zu einer ebenso kontinuierlichen Zunahme der Silver Surfer führe. Die vergleichsweise jungen Flüchtlinge würden also den sogenannten Facharbeitermangel im selben Maße beheben, wie sie den Generationenvertrag absichern würden. Die notwendigen Integrationskosten könnten wir uns dabei leicht leisten: Wer, wenn nicht das reiche Deutschland? Und das angesichts der Tatsache, dass es Länder wie Jordanien, den Libanon oder die Türkei gibt, die ärmer sind, aber im relativen Vergleich wesentlich mehr Flüchtlinge beherbergen als die Bundesrepublik.

Zum anderen ist es der Hinweis darauf, dass eine bunte und kosmopolitische Gesellschaft auf Dauer ohnehin nicht zu vermeiden und das zwingende Ergebnis von Globalisierung und Migrationsdruck sei. Das Erlernen der Toleranz von Vielfalt sei daher der Schlüssel zur globalen Moderne und mit aller Kraft anzustreben. Ethnischer, kultureller und religiöser Pluralismus wird dabei nicht als notgedrungener und zu ertragender Missstand wahrgenommen, sondern als ein unausweichliches und folgerichtig zu bejahendes Ziel. Dabei auftretende Konflikte seien zu akzeptieren und gesellschaftliche Lernprozesse voranzubringen, wie man solche befrieden kann.

Wie nun wird mit denjenigen verfahren, die diese Argumente der an universalen Rechten sich Orientierenden ablehnen mit dem Hinweis, dass die blauäugige Verkennung der Probleme unheilvoll sei? Sie werden im selben Maße in eine ideologische Ecke gedrängt und von der Befürworter-Seite als unglaubwürdig gebrandmarkt, wie es umgekehrt der Fall ist. In den Gegnern einer offenen und großzügigen Flüchtlingspolitik sieht man oft nicht mehr als engstirnig Bornierte, deren Argumente als dumpfe Hetze wahrgenommen werden. Sie werden als Provinzler und Rednecks herabgesetzt, die wissen sollten, dass es "ein Recht, sein Leben in vertrauten Verhältnissen zu verbringen, nicht gibt und nicht geben kann" (Thomas Steinfeld).

Deutschland wird sich zunehmend radikalisieren und spalten

Diese gegenseitige Verunglimpfung - hier der Vorwurf des dumpfsinnig-engen Hinterwäldlertums, dort die Bezichtigung des träumerisch-spinnigen Gutmenschentums - ist in den letzten Monaten stark gewachsen und erzeugt einen zähen Unwillen, sich mit den Argumenten der jeweils anderen Seite ernsthaft auseinanderzusetzen.

Die Bereitschaft zu einer nüchternen Prüfung der jeweiligen gegnerischen Argumente nach Vernunftgründen und der Wille zu einem ernsthaften Perspektivenwechsel sind so niedrig wie selten - vielleicht wie nie - in der Geschichte der Bundesrepublik. Das liegt nicht zuletzt darin begründet, dass beide Seiten die Kontroverse als eine existenzielle wahrnehmen.

Bedeutet das nun, dass wir - obgleich der Vergleich natürlich hinkt - amerikanische Verhältnisse bekommen, dass bis in die Familien hinein sich politischer Zwist verschärft, dass die Gesellschaft sich zunehmend spaltet, polarisiert und politisch radikalisiert?

Das ist leider zu befürchten.