16.06.2017 - 22:24 Uhr

Oberpfälzer Stimmen zum Tod von Helmut Kohl: Kraus: "Zweitbester Kanzler nach Adenauer"

Kanzler und Kohl - das ist für die Generation der Baby-Boomer ein Synonym. Nicht zur Freude für jeden, doch auch seine politischen Gegner würdigen heute den Kanzler der Einheit. Stimmen aus der Region zum Tod des dünnhäutigen christdemokratischen Riesen.

Ein historischer Moment der Versöhnung: Kohl und der französische Staatspräsident François Mitterrand reichen sich am 22. September 1984 über den Gräbern von Verdun die Hand. Bild: dpa

Amberg/Weiden. Der Pfälzer, der in den 70er Jahren - nach dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen Willy Brandt - als Erneuerer der CDU angetreten war, galt am Ende seiner Laufbahn als politisches Fossil. Kohl überlebte sie alle, die vermeintlichen Hoffnungsträger seiner Partei: die Dreggers, Geißlers, Späths - und vor allem Franz Josef Strauß, den großen Gegenspieler aus Bayern.

Die Medien schossen sich schnell auf den vermeintlich ungebildeten Historiker ein - "Spiegel", "Stern" und "Zeit" ballerten aus allen Rohren. Kohl ignorierte sie. Zuletzt mussten alle kapitulieren, die den empfindlichen Dickhäuter unterschätzten.

"Er hatte Mumm"

Einer, der Helmut Kohl noch persönlich kannte, ist Rudolf Kraus . "Ich bin als Parlamentarischer Staatssekretär oft auf Kohl getroffen", erinnert sich der Schnaittenbacher. "Ich habe ihn geschätzt als Politiker, der sich etwas anzufassen traut, wozu andere nicht den Mumm hatten." Bekannt ist, dass Kohl ein begnadeter Netzwerker und Strippenzieher war - über Jahrzehnte die Machtbasis in seiner Partei. "Das stimmt", sagt Kraus, "er hat gern und viel telefoniert." Man habe nicht mit jedem, aber mit wichtigen Anliegen zu ihm kommen können. "Kohl wusste erstaunlich gut Bescheid über jeden Wahlkreis, auch Einzelheiten zu den Abgeordneten und ihre Familienverhältnisse - selbst in Bayern."

Möglicherweise ein Grund, warum Strauß nach dem legendären Kreuther Trennungsbeschluss seine Linie nicht durchhalten konnte - die CSU-Abgeordneten, von FJS als "Memmen" beschimpft, fürchteten Kohls Retourkutsche mit einem CDU-Landesverband in Bayern.

Vom Putschversuch seiner Parteifreunde 1989, kurz vor dem Wiedervereinigungswunder, sei er überrascht worden: "Dass er von den Personen verraten wurde, die er aufgebaut hatte, hat ihn tief getroffen." Zum Verlust des CDU-Ehrenvorsitzes im Zuge der Spendenaffäre hat Kraus keine eindeutige Meinung: "Mein Gott, dass er die Spendernamen nicht genannt hat - ein persönliches Wort ist halt ein hohes Gut." Das traurige Ende, abgeschirmt von der zweiten Ehefrau Maike Kohl-Richter, stößt dem 76-Jährigen sauer auf: "Mir hat mein ehemaliger Staatssekretärskollege Bernhard Worms erzählt, sie habe ihm den Zugang verwehrt - ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm das gefallen hat." Das Resümee: "In der Bestenliste würde ich Helmut Kohl ohne zu zögern nach Adenauer auf Platz 2 setzen."

In der Bestenliste würde ich Helmut Kohl ohne zu zögern nach Adenauer auf Platz 2 setzen.Rudolf Kraus

"Ich habe Helmut Kohl als junger Mensch bei Parteitagen erlebt", erinnert sich Albert Füracker. Der Oberpfälzer CSU-Bezirkschef hat Kohl als "beeindruckende Persönlichkeit" im Gedächtnis. "Sein Kampf für ein vereintes Europa ist heute wichtiger denn je." Neben der deutschen Einheit sei das seine große historische Leistung. Dass nach 16 Jahren Kanzlerschaft viele gerufen hätten "Kohl muss weg", habe er nicht verstanden: "Mir wurde damals bewusst, dass es in einer Demokratie viele Argumente gibt, die nicht rational sind."

Schwartz: "Imposant"

Auch Harald Schwartz hat Kohl live erlebt: "Er ist mit seiner imposanten Größe, begleitet von seinen Bodyguards, bei einem Parteitag wie eine Bugwelle durch den Saal gepflügt." Der Amberger CSU-Landtagsabgeordnete sei einfach nur dagestanden: "Plötzlich hat er mir die Hand geschüttelt, wie vielen anderen auch." Seine klarste Erinnerung: "Es waren verdammt große Hände." Schwartz hatte in der Ära Kohl Immer das Gefühl: "Man merkt die Grundausbildung - er ist Historiker und hatte einen anderen Blick auf die Dinge."

Bei der Wiedervereinigung habe der Wirtschaftsanwalt zuerst das Gefühl gehabt: "Oh mein Gott, ob das gut geht, so holterdipolter?" Der Umtausch von Ost- in Westmark sei typisch für seinen Politikstil gewesen: Ein CSU-Grande, der's wissen müsse, habe ihm erzählt, Kohl habe eine große Experten-Runde befragt. Alle hätten reihum begründet, warum das nicht funktionieren könne. Dann habe er verkündet: "Und jetzt machen wir's." Beeindruckend sei das, weil man technische, juristische oder volkswirtschaftliche Hürden immer überwinden könne.

Uli Grötsch behält Helmut Kohl sowohl als Kanzler der deutschen Einheit als auch als ewigen Kanzler in Erinnerung. "Die Wiedervereinigung bleibt seine historische Leistung", erkennt der Weidener SPD-Bundestagsabgeordnete an, "die Namen der Spender hat er mit ins Grab genommen", bedauert er die Schattenseite.

 
 

Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Zum Fortsetzen bitte

Um diesen Artikel zu lesen benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.