Während in großen deutschen Städten der Wohnraum knapp wird, gibt es auf dem Land das gegenteilige Problem: Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ist zu dem Ergebnis gekommen, dass in ländlichen Regionen deutlich mehr gebaut wird, als eigentlich sinnvoll wäre. Dadurch komme es zu verödenden Dorfzentren und Leerständen.

Wegen der schrumpfenden Bevölkerung und vorhandener leerstehender Häuser brauche es vielerorts kaum neue Wohnungen. Gebaut werde trotzdem, kritisiert das IW. So etwa im Landkreis Waldeck-Frankenberg nördlich von Marburg. Dort seien zwischen 2011 und 2015 lediglich sieben Wohnungen notwendig gewesen. Gebaut wurden jedoch fast 200. Laut der Studie entspricht das 2764 Prozent des Bedarfs. Zu viel gebaut werde sowohl in Bayern, im Schwarzwald, in der Eifel als auch in Nordhessen, wie eine Grafik des IW zeigt.

Im niedersächsischen Kreis Emsland wurden dem Institut zufolge mehr als 1.060 Wohnungen mehr gebaut, als auf Basis der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung und bestehender Leerstände nötig gewesen wäre. Zum Großteil handele es sich um große Wohnungen oder Einfamilienhäuser.

Wenn ländliche Siedlungen um viele einzelne Wohnungen erweitert werden, vergrößern sie ihre Fläche und nehmen umliegende Landschaften für sich ein. Dieser Vorgang wird Zersiedelung genannt. Der Prozess kann zur Zerstörung und Aufteilung von Landschaften führen und etwa Lebensräume von Wildtieren bedrohen. Nötig wäre platzsparendes Bauen, doch stattdessen konstatiert IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer: "Wir stellen mit Schrecken fest, dass in ländlichen Regionen immer noch sehr viele Einfamilienhäuser gebaut werden". Dadurch komme es zu einer verstärkten Zersiedelung.

Neubauten können später nur schwer verkauft werden

Eine weitere Folge seien sinkende Preise. Weil die Bevölkerung schwinde, falle die Nachfrage langfristig weg, sagt Voigtländer. Das wirke sich natürlich auf die Preisentwicklung aus. Dadurch könnten die Bauherren später Schwierigkeiten damit bekommen, die Wohnungen wieder zu verkaufen.

Das Institut der deutschen Wirtschaft empfiehlt den Kommunen, entschieden gegen Neubau vorzugehen. Sie sollten keine neuen Baugebiete ausweisen, Neubauten an den Abriss von alten Häusern koppeln und die Ortskerne attraktiver machen. 

In vielen Ballungsräumen werde hingegen zu wenig gebaut. In Berlin etwa sind laut Studie in den vergangenen Jahr nur 40 Prozent der eigentlich benötigten Wohnungen gebaut worden, in München 43 Prozent und in Hamburg 59 Prozent.  

Es gäbe eigentlich genug Wohnungen für alle

"In der Summe hätten wir eigentlich genug Wohnraum in Deutschland – wenn er an der richtigen Stelle wäre", fasst Stephan Kippes zusammen. Der Marktforschungsleiter beim Immobilienverband Deutschland Süd in München spricht von einem Stadt-Land-Gefälle in der Bautätigkeit.

Voigtländer vom IW machte die Niedrigzinsen der vergangenen Jahre für den Trend verantwortlich. Die machten den Immobilienkauf vergleichsweise günstig. Statt in vorhandene Wohnungen einzuziehen, bauten Familien lieber etwas Neues, sagt der Experte. "Das ist verständlich, aber man müsste gleichzeitig leerstehende alte Häuser abreißen."