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Janko Tietz

Merkel ohne Programm Keine Ideen, kein Aufbruch, nichts!

Ihre Partei gähnt vor Langeweile, sie selbst glänzt derzeit durch Nichtstun - und trotzdem sind CDU und Angela Merkel wieder obenauf. Doch die Kanzlerin hat keine weitere Amtszeit verdient.
Markenzeichen von Kanzlerin Merkel: die Raute

Markenzeichen von Kanzlerin Merkel: die Raute

Foto: Michael Kappeler/ dpa

Zu ihrer letzten Wahl ist Angela Merkel angetreten mit dem Motto: "Sie kennen mich." Das musste genügen. Mit ihrem neuen Wahlprogramm lässt sich die Union noch Zeit, doch schon jetzt drängt sich der Eindruck auf: "Kennt man schon."

Keine Ideen, kein Aufbruch, keine Vorstellung, wo das Land hinwill. Nichts. Im Gegenteil, Merkel strahlt aus: Wo wir sind, ist vorn. Bloß nicht bewegen. Welch ein Trugschluss.

Angela Merkel ist jetzt seit zwölf Jahren Kanzlerin, sie ist beliebt, und auf den ersten Blick steht Deutschland fabelhaft da. Doch dass die internationale Presse sie feiert und sie als Führerin der freien Welt geachtet ist, verstellt den Blick darauf, dass sie zu Hause nicht viel mehr liefert, als regelmäßig schöne Bilder.

Welches große politische Projekt bringt man mit Merkel in Verbindung? Welchem Gesetzesvorhaben hat sie ihren Stempel aufgedrückt? Was will sie, außer weiter an der Macht bleiben?

Ja, sie hat die Entscheidung getroffen, Hunderttausende Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Das war richtig, und das ehrt sie. Und nun? Die Arbeit machen die Länder und die Kommunen, die oft genug beim Bund mit ihrem Wunsch abprallen, dafür finanziell stärker entlastet zu werden. Die schwarze Null ist ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble heilig.

Bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 sagt die Steuerschätzung ein zusätzliches Steueraufkommen von mehr als 110 Milliarden Euro in vier Jahren voraus. Hat man von Merkel irgendwann mal gehört, was sie mit diesem Geld machen will? Investitionen in die Infrastruktur? Bildung? Integration? Steuerstrukturreformen?

Hat sie einen Plan? Hat sie nicht.

Es gibt viele Felder, auf denen politische Führung nötig wäre - auch wenn die wirtschaftliche Lage gut ist. Doch die ist nicht dank Merkels zupackendem Elan gut, sondern vor allem wegen des schwachen Eurokurses, der Exporte erleichtert, des niedrigen Ölpreises, der Rohstoffe günstiger macht, und der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, die das Geld billig hält.

Von all dem profitiert die Kanzlerin, dazu beigetragen hat sie nichts. Was aber, wenn sich die wirtschaftlichen Parameter ändern? Das wird absehbar geschehen. Hat sie dafür einen Plan? Hat sie nicht. Stattdessen richtet sie sich ein in der komfortablen Wohligkeit der Weltstaatsfrau.

Das Land aber hat durchaus Probleme, die mal jemand anpacken könnte.

Was ist Merkels Antwort auf die Frage, wie junge Familien in Metropolen noch Mieten bezahlen sollen? Was ist Merkels Antwort auf die Frage, warum viele Akademiker nach langer Ausbildung nur einen befristeten Job nach dem anderen bekommen? Warum nimmt sie es als vollkommen normal hin, dass jeder fünfte Arbeitnehmer in Vollzeit mit seinem Einkommen den Lebensunterhalt nicht allein bestreiten kann? Ohne Mindestlohn, der gegen den erklärten Willen der Union durchgesetzt wurde, wäre diese Zahl noch höher.

Wie reagiert Merkel darauf, dass allein in der Metall- und Elektroindustrie über eine Million Arbeitnehmer in Werkvertragsverhältnissen und damit abseits vom Flächentarifvertrag stecken? Wie will Merkel die vielen Zehntausend zugezogenen Männer und Frauen in den Arbeitsmarkt integrieren?

Kein Integrationsplan, kein vernünftiges Einwanderungsgesetz

Nur 58 Prozent der Flüchtlinge ab 18 Jahren haben überhaupt einen Schulabschluss. Selbst jene, die qualifiziert sind, finden nicht automatisch einen passenden Job. Und Betriebe, die in die Ausbildung junger Flüchtlinge investieren, müssen befürchten, dass Menschen mit bestimmten Nationalitäten abgeschoben werden. Auf einen umfassenden Integrationsplan, auf ein vernünftiges Einwanderungsgesetz wartet man vergeblich.

Was hat man der SPD Versagen vorgeworfen, als sie zuließ, dass sich links von ihr eine neue Partei etablieren konnte. Noch dazu aus dem Fleische der Sozialdemokraten. Dass rechts von der CDU für viele die AfD salonfähig geworden ist und heute in 13 Landesparlamenten sitzt, scheint die Kanzlerin als Naturgesetz zu akzeptieren.

Warum geht es bei der Digitalisierung nicht voran? Vor drei Jahren stotterte Merkel noch beim IT-Gipfel in Hamburg bei der Suche nach dem Wort "Festnetz". Sie versprach, es werde alles besser. Passiert ist so gut wie nichts. Beim Ausbau der Glasfaser-Breitbandnetze belegt Deutschland Platz 27 von 28 Ländern. Nur zwei Prozent der Menschen haben Zugang zu Glasfasernetzen. Mancherorts müssen Leute in 25 Kilometer entfernte Nachbarorte fahren, um vernünftiges Internet zu haben. Weite Teile der Industrie verschlafen den Wandel zur Digitalisierung, weil die Regierung vorgibt, man sei ja Weltspitze.

Gespielte Autorität

Und warum traut sich Merkel eigentlich, gegenüber Donald Trump die Vorkämpferin für Klimaschutz zu spielen? Die selbst gesteckten Klimaziele Deutschlands, bis zum Jahr 2020 nur noch 750 Millionen Tonnen CO2 zu emittieren, werden wahrscheinlich nicht mal 2030 erfüllt sein. Seit 2009 findet hierzulande kein CO2-Rückgang mehr statt. Stattdessen torpediert die Bundesregierung jeden Versuch, die deutsche Autoindustrie wegen ihrer skrupellosen Abgasmanipulationen zu sanktionieren.

Was ist mit Europa? Immer wieder heißt es, Merkel sei dort eine Instanz. Doch wo hat die Kanzlerin denn Autorität? Die EU ist in einem jämmerlichen Zustand. Großbritannien will ihr den Rücken kehren, viele osteuropäische Länder tanzen den Institutionen in Brüssel und Straßburg auf der Nase herum. Das ökonomische Ungleichgewicht innerhalb der Union ist unter Merkel jedenfalls nicht kleiner geworden. Reformen bei der EU: Fehlanzeige. Und wenn sie einer vorschlägt, wie jetzt Emmanuel Macron, zieht Merkel erst mal die Augenbraue hoch und fragt, was es kostet.

"Du kennst mich" sagt man vielleicht in einer langjährigen Liebesbeziehung zum Partner, wenn es etwas eintöniger wird, wenn man sich versichern will, was man am anderen hat, wenn man klarmachen will, worauf man sich verlassen kann. Das Verhältnis von Volk und Regierung ist aber keine Liebesbeziehung. Demokratie lebt vom Wechsel.

Bei Helmut Kohl kam nach zwölf Jahren Amtszeit auch keine Wechselstimmung auf. Danach saß er seine Zeit bis 1998 nur noch ab. Die Nachfolger hatten Jahre damit zu tun, seine Versäumnisse aufzuarbeiten.

Das kann man natürlich eine politische Strategie nennen. Oder trostlos.