Stationärer Handel:Stilles Sterben

Einkaufspassage "Hofstatt´" in München, 2014

Viele Verbraucher kaufen immer häufiger im Internet ein statt in den Geschäften der Innenstädte.

(Foto: Florian Peljak)

Steigende Kosten, sinkende Erträge: Im Einzelhandel muss laut einer Prognose bis 2021 jeder zehnte Laden schließen.

Von Stefan Weber

Der deutsche Einzelhandel erklimmt immer neue Umsatzgipfel. 2017 könnte das achte Jahr in Folge werden, in dem die Branche ihre Erlöse nominal - also ohne Berücksichtigung von Inflationseffekten - steigert. Der Handelsverband Deutschland (HDE) prognostiziert ein Plus von zwei Prozent. Dabei profitieren Ladenbetreiber und Onlineverkäufer von dem konsumfreundlichen Umfeld: Die gute Beschäftigungssituation sowie die niedrigen Zinsen steigern die Ausgabebereitschaft vieler Verbraucher. Dazu passt, dass die Zahl der Insolvenzen im Handel nach Zahlen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform 2016 überproportional zurückgegangen ist. 4520 Pleiten bedeuteten ein Minus von 7,2 Prozent gegenüber dem Jahr zuvor. Also, alles gut im Einzelhandel? Die Realität sieht für viele Händler anders aus, vor allem im stationären Handel. Sie registrieren weniger Kundenzuspruch und niedrigere Umsätze.

Gerade kleine Unternehmen bekommen schwer Kredite

Bei einer kürzlich vom BTE Handelsverband Textil durchgeführten Untersuchung beklagten 70 Prozent der befragten Händler eine rückläufige Frequenz in ihren Läden. Die Kosten aber steigen - für Personal, für Energie und für die Anmietung der Geschäftsräume. Wer nach Indizien für die Verfassung vor allem kleiner und mittelgroßer Händler sucht, wird bei den Bürgschaftsbanken fündig. Bürgschaftsbanken unterstützen gewerbliche Unternehmen und Freie Berufe bei der Kredit- und Beteiligungsfinanzierung, indem sie gegenüber Hausbanken Ausfallbürgschaften übernehmen. Deren Gesellschafter sind Kammern und Wirtschaftsverbände aller Branchen, Kreditinstitute und Versicherungen sowie Förderinstitute der jeweiligen Bundesländer. Im vergangenen Jahr sicherten die 17 deutschen Bürgschaftsbanken über 6200 Finanzierungsvorhaben ab. Das übernommene Bürgschafts- und Garantievolumen betrug mehr als 1,1 Milliarden Euro.

Die Zahl der Bürgschaften gilt als Indikator für die Situation in den jeweiligen Branchen. Geht es einem Wirtschaftszweig gut, beantragen die Unternehmen bei Bürgschaftsbanken vergleichsweise viele Hilfen, etwa um Investitionen oder Firmenübernahmen zu finanzieren. Im Handel jedoch zeigt der Trend nach unten. Die Baden-Württembergische Bürgschaftsbank etwa, eine der größten Bürgschaftsbanken im Land, unterstützte 2016 nur noch 373 Handelsunternehmen. Drei Jahre zuvor waren es noch mehr als 550 gewesen. Im gleichen Tempo ging es auch bei den geförderten Gründungen und Übernahmen bergab. "Die Zahlen der Bank sind ein Abbild der schwierigen strukturellen Situation in vielen Handelsunternehmen", erläutert Guy Selbherr, Vorstand der Bank und Vorsitzender des Verbandes Deutscher Bürgschaftsbanken (VDB).

Einmal im Jahr befragt die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Unternehmen zu ihrer Finanzierungssituation. Ergebnis der jüngsten Befragung im Jahr 2016: Aufgrund der eigenen verbesserten Geschäftsentwicklung und gelockerter Kreditvergaberichtlinien der Banken hat die Mehrzahl der Unternehmen weniger Probleme, seine Vorhaben zu finanzieren als im Jahr zuvor. Für den Einzelhandel gilt das jedoch nur eingeschränkt. "Gerade kleine Unternehmen und Unternehmen des Einzelhandels haben häufiger generelle Probleme beim Kreditzugang", stellt die KfW fest. Meist könnten die Betroffenen nur unzureichende Sicherheiten vorlegen.

Wenn Handelsunternehmen Kredite nachfragen, planen sie damit laut KfW meist die Finanzierung von Grundstücken oder Gebäuden. Der am zweithäufigsten genannte Grund für die Kreditaufnahme ist der Kauf von Maschinen oder Einrichtungen. Wie in nahezu allen Wirtschaftsbereichen hat sich die Beurteilung der Bonität auch im Handel zuletzt verbessert. Die Steigerung fällt der KfW-Untersuchung zufolge jedoch weniger stark aus als in anderen Branchen. Ein Grund für die Misere vieler Ladenbetreiber ist, die Neigung der Verbraucher, immer mehr Einkäufe online zu tätigen. Nach Zahlen des HDE wird bereits jeder zehnte Euro im deutschen Einzelhandel über den Onlinehandel erlöst, Tendenz stark steigend. Für 2017 erwartet der Verband bei Internetverkäufen ein Plus von elf Prozent. In Branchen wie Mode, Spielwaren, Büchern oder Elektronik beträgt der Anteil der Onlineverkäufe bereits mehr als 20 oder gar 30 Prozent.

Fachleute streiten schon lange nicht mehr darüber, ob die Zukunft des Handels eher das stationäre Geschäft oder der Verkauf über das Netz ist. Es herrscht Einigkeit darüber, dass sich auf Dauer nur derjenige im Wettbewerb behaupten wird, der beide Vertriebswege intelligent verknüpft - zum Omnichannel. Diese Strategie erfordert weit mehr als digitale Verkaufstechnologien zu installieren wie zum Beispiel interaktive Terminals oder Touchlösungen im Schaufenster. Es geht darum, Prozesse neu zu denken. Etwa in der Art, dass Kunden Waren online auf Rechnung bestellen, in eine Wunschfiliale liefern lassen und dort entscheiden, welche Artikel sie tatsächlich kaufen möchten. Den Rest retournieren sie gleich am Ort.

Solche Services verlangen neben Know-how und Risikobereitschaft vor allem eins: hohe Investitionen. Und zwar zusätzlich zu den Ausgaben, die Händler ohnehin aufbringen müssen, um Erscheinungsbild und Technik ihres Geschäfts immer wieder zeitgemäß zu gestalten. Aus dem Laden-Monitor 2017, den das Handelsforschungsinstitut EHI erstellt, geht hervor, dass die Handelsunternehmen im vergangenen Jahr 6,64 Milliarden Euro in Bau, Technik und Optik ihrer stationären Geschäfte investiert haben - 2,4 Prozent weniger als im Laden-Monitor 2014 ermittelt. Dabei lag der Fokus mehr auf Umbauten, weniger auf der Eröffnung neuer Objekte.

Technische Weiterentwicklungen, etwa im Bereich LED-Licht oder Energie, und gestiegene Kundenanforderungen verlangen hohe Ausgaben. "Die besondere Herausforderung liegt darin, (noch) kostengünstiger einzurichten, also mit weniger Aufwand neue Optiken zu schaffen - allerdings ohne Abstrich an Design und Qualitäten", heißt es im Laden-Monitor 2017. Die Kunden erwarten in immer kürzerem Rhythmus Abwechslung bei Ladengestaltung und Dekoration. Sonst kaufen sie noch häufiger im Internet. "Viele Händler können die notwendigen Investitionen jedoch nicht mehr aufbringen und verlieren somit an Wettbewerbsfähigkeit", stellt Claudia Horbert, Leiterin des Forschungsbereichs Ladenplanung und Einrichtung beim EHI, fest. Die Finanzkraft ist begrenzt. Nach Zahlen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform weisen 28,2 Prozent der Händler eine Eigenkapitalquote von weniger als zehn Prozent aus. Ein solch niedriges Niveau gilt als bedenklich, weil es kein ausreichendes Polster für unvorhergesehene Ereignisse bildet.

Irgendwann heißt es "Räumungsverkauf"

Je nach Standort wird es für eine Filiale immer schwieriger, eine bestimmte Investition wieder zu erwirtschaften. "So treten an die Stelle umfassender und tiefgreifender Umbauten zahlreiche Kleinprojekte, die für optische Veränderungen und ständigen Wechsel auf der Fläche sorgen", beobachten die Forscher des EHI. Auch bei neuen Objekten wird gespart: Laut Laden-Monitor 2017 haben Textil-, Schuh- und Sportgeschäft 2016 nur noch 444 Euro pro Quadratmeter Verkaufsfläche investiert - 8,5 Prozent weniger als drei Jahre zuvor.

Die Folge: Trotz guter Konjunktur wird sich die Auslese im Einzelhandel weiter beschleunigen. Ganz im Sinne der Prognose, die der HDE bereits 2015 abgegeben hat: Danach wird bis zum Jahr 2021 jeder zehnte Laden in Deutschland schließen. Das sind etwa 50 000 Geschäfte, die meisten davon inhabergeführt. Großen Rummel wird das nicht verursachen. Kleine und mittelständische Händler sterben einen stillen Tod. Irgendwann heißt es "Räumungsverkauf" und ein paar Wochen später ist der Laden geschlossen.

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