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Politik

Wie Landräte in NRW mit Abschiebungen Geld verdienen könnten

Sie fordern, den Flughafen Paderborn-Lippstadt zum zentralen Ort für Abschiebungen zu machen. Die Landkreise verdienen bei jedem Flug mit.
Ein Abschiebeflug vom Flughafen Dresden bringt Geflüchtete zurück in den Kosovo | Foto: imago | momentphoto/Robert Michael  

Wenn die einen nicht mehr reisen wollen, muss man die anderen eben dazu zwingen. Der Flughafen Paderborn-Lippstadt war ein besonders beliebter Abflugsort für Türkei-Touristen, aber nach den vielen Anschlägen und den Festnahmen seit dem Putschversuch fliegen die lieber nach Mallorca. Der Flughafen hat die niedrigsten Passagierzahlen seit 20 Jahren. Nun haben sich die Landräte der Region eine Lösung für das Problem ausgedacht: Sie wollen die Passagiere in noch viel schlimmere Krisenregionen fliegen – und das notfalls in Handschellen. Marokkaner, Afghanen und Tunesier sollen künftig von dem Provinzflughafen in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Das zumindest ist der Plan von sieben Landräten in Ostwestfalen-Lippe (OWL) und dem Oberbürgermeister von Bielefeld.

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"Da wittert man eine Chance für die Region, ein Geschäft mit Geflüchteten", kritisiert die Vorsitzende der gemeinsamen Fraktion von Linken und Piraten im Stadtrat Paderborn, Sabine Martiny, in einem Statement. "Es wird damit geworben, Abschiebung schneller und leichter möglich zu machen."
Und genau das ist auch das Ziel. Die Landräte und der Oberbürgermeister wollen, dass an dem Flughafen mehr Zwangsabschiebungen stattfinden, und haben deshalb der Landesregierung einen Brief geschrieben, der VICE vorliegt: Es bestehe der Wunsch, "diesen Flughafen für zwangsweise Rückführungen zu nutzen", heißt es darin. Der Tenor des Schreibens: Niemand soll mehr und effizienter abschieben als Nordrhein-Westfalen. "NRW liegt im Ländervergleich auf dem ersten Platz bei freiwilligen Ausreisen. Mit 2.099 Abschiebungen liegt NRW ebenfalls im Ländervergleich vorn." Es dränge sich geradezu auf, Abschiebungen über den dortigen Flughafen abzuwickeln, "um diese Position zu festigen und weiter auszubauen".


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Schaut man sich die Gründe der Befürworter des Abschiebeflughafens an, ergibt die Idee auf den ersten Blick durchaus Sinn: Das bundesweit größte Abschiebegefängnis liegt nur zehn Kilometer entfernt. "Wir haben einen gut ausgebauten Flughafen gleich nebenan. Was liegt da näher, als ihn für Rückführungen zu benutzen", sagte Paderborns Landrat Manfred Müller in einer Stellungnahme. In der ehemaligen Justizvollzugsanstalt Büren nahe des Flughafens sind aktuell bis zu 140 Flüchtlinge untergebracht. Abgelehnte Asylbewerber werden dort hingebracht, wenn Richter zu dem Urteil kommen, dass Fluchtgefahr besteht. Bis jetzt müssen Bundes- oder Landespolizisten die Insassen zu den Flughäfen nach Köln/Bonn oder Düsseldorf bringen. Dafür müssen sie die Asylbewerber teilweise mitten in der Nacht wecken, damit sie es rechtzeitig zu den Chartermaschinen schaffen, die 150 Kilometer entfernt auf sie warten. "Die häufig kritisierten Abholungen in den Nachtstunden würden entfallen", schreiben die Landräte in dem Brief.

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Die neue schwarz-gelbe Landesregierung in NRW unterstützt den Vorschlag der Landräte: "Wir […] werden den Bundesminister des Innern um erneute Prüfung bitten", twitterte der zuständige Integrationsminister Joachim Stamp von der FDP im Juli. Eine offizielle Antwort hat das Bundesinnenministerium (BMI) noch nicht gegeben. Gegenüber VICE schrieb eine Sprecherin: Dass die Bundespolizei extra Leute an einen Regionalflughafen schicken würde, sei zwar eher unwahrscheinlich, NRW könne jedoch eigenständig abschieben. Das BMI hat prinzipiell nichts dagegen, die Landesregierung sieht praktische Vorteile und sogar Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW sagte gegenüber VICE: "Logistisch ist der Gedanke nachvollziehbar."

Am Flughafen Paderborn-Lippstadt sind bereits Sammelflüge mit freiwillig Ausreisenden gestartet | Foto: Imago | Rainer Unkel

Soweit, so gut? Die Frage ist aber, ob die Landräte tatsächlich nur den logistischen Vorteil im Kopf haben oder nicht auch noch eine Menge Geld in ihre klammen Kassen bringen wollen. Denn der Flughafen Paderborn-Lippstadt verzeichnete im Jahr 2015 laut Westfalenblatt 1,9 Millionen Euro Defizit und die Passagier-Zahlen waren im vergangenen Jahr auf dem niedrigsten Stand seit 1997. Von 2015 bis 2019 werde mit einem jährlichen Minus von etwa 2,5 Millionen Euro gerechnet, steht im Gesamtabschluss des Kreises Paderborn. Der ist nämlich Hauptanteilseigner des Flughafens, auch die Kreise Soest, Gütersloh, Lippe und die Stadt Bielefeld besitzen Anteile. Wie hoch die Flughafengebühren sind, die für gecharterte Abschiebeflüge anfallen, konnte Flughafenpressesprecher Tim Alexandrin gegenüber VICE nicht sagen. Laut der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen beträgt die Gebühr für eine vollbesetzte Boeing 737-800 beispielsweise etwas mehr als 3.000 Euro – und die wäre auch für Abschiebeflieger fällig. Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat schätzt, dass Abschiebungen das Bundesland zwischen mehreren hundert und mehreren tausend Euro pro Person kosten. Sollten die Abschiebungen zukünftig vom dortigen Flughafen stattfinden, könnte das den Kreisen als Gesellschafter durch die Flughafengebühren indirekt zusätzliche Einnahmen bringen und damit dem angeschlagenen Flughafen Paderborn-Lippstadt wieder auf die Beine helfen.

"Ein Abschiebeflughafen mit angegliederter Abschiebehaftanstalt ist im Interesse der zur Zeit geübten rigiden Asylpolitik vielleicht günstig", meint Sabine Martiny von den Piraten. "Im Sinne von Menschlichkeit und Hilfe für Geflüchtete aber nicht." Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat kritisiert außerdem, es gebe am Flughafen Düsseldorf eine Beobachtungsstelle für Abschiebungen, die darauf achte, dass es nicht zu Menschenrechtsverletzungen kommt. In Paderborn existiere so etwas nicht. Das Abschiebegefängnis Büren liegt abgeschottet in einem Waldgebiet. "Da erfolgen Abschiebungen dann in aller Abgeschiedenheit und ohne Kontrolle."

Auf Anfrage von VICE wollten einzelne Landräte zu dem Vorwurf des wirtschaftlichen Nutzens keine Stellung beziehen. Der Kreis Soest gab keinerlei Auskunft, der Pressesprecher in Bielefeld verwies lieber auf Paderborn. Und dort schrieb die Pressesprecherin schließlich: Der einzige Grund für den Vorschlag der Landräte, mehr Abschiebungen durchzuführen, seien die räumliche Nähe und die logistischen Vorteile. Wie viel Geld der Abschiebe-Flughafen konkret einbringen würde, dazu könne sie aber keine Zahlen liefern.

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