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Zum ARD-Film "Götter in Weiß" Haben deutsche Kliniken ein Hygiene-Problem?

Ein Spielfilm zeichnete ein schauriges Bild einer Klinik mit verseuchten OP-Sälen, resistenten Keimen und Vertuschung. Hygiene-Expertin Petra Gastmeier schildert, wie Krankenhausinfektionen entstehen.
Szene aus dem ARD-Film "Götter in Weiß"

Szene aus dem ARD-Film "Götter in Weiß"

Foto: NDR/ Volker Roloff

SPIEGEL ONLINE: Frau Gastmeier, nach dem ARD-Film "Götter in Weiß" kann einem mulmig werden, falls man gerade ins Krankenhaus muss. Da erhalten Patienten Antibiotika, ohne dass die behandelnden Ärzte es wissen. Im OP-Saal hat sich ein multiresistenter Keim eingenistet, alles wird vertuscht.

Gastmeier: Grundsätzlich ist es gut, wenn die Problematik von Krankenhausinfektionen in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Schwierig finde ich aber, wenn das zu unrealistischen Ängsten bei Patienten führt. Zum Beispiel sind gerade OP-Säle so sauber - da muss sich niemand fürchten.


Petra Gastmeier leitet das Institut für Hygiene und Umweltmedizin an der Berliner Charité.


SPIEGEL ONLINE: Trotzdem sind Krankenhausinfektionen ein wichtiges Thema. Wie häufig kommen sie eigentlich vor?

Gastmeier: In Deutschland haben jährlich etwa eine halbe Million Menschen eine Krankenhausinfektion. Bis zu 15.000 sterben an den Folgen.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es Patienten, die ein höheres Risiko haben als andere?

Gastmeier: Zum einen Frühchen, die bei der Geburt weniger als 1500 Gramm wiegen. Zum anderen ältere Menschen, die bereits an einer Grunderkrankung leiden. Ein wichtiger Risikofaktor sind alle Formen von Zugängen, etwa Beatmungsschläuche oder Blasenkatheter. Denn durch diese Öffnungen können sich Bakterien ausbreiten. Hier ist es wichtig, immer peinlich genau auf die Hygiene zu achten und auch zu hinterfragen, ob der Zugang noch nötig ist.

SPIEGEL ONLINE: Welche Rolle spielen multiresistente Keime, die auf viele Antibiotika nicht mehr reagieren?

Gastmeier: In der Öffentlichkeit liegt der Fokus so stark auf multiresistenten Keimen, das oft vergessen wird, dass auch nicht resistente Erreger schwere Krankheiten verursachen können. Hierzulande werden etwa sechs Prozent der Krankenhausinfektionen von multiresistenten Keimen verursacht. Global gesehen sind multiresistente Keime jedoch ein sehr großes Problem, etwa in Südostasien.

SPIEGEL ONLINE: Wie fangen sich Patienten eigentlich im Krankenhaus eine Infektion ein?

Gastmeier: In vielen Fällen bringen die Patienten die Infektionserreger selbst mit. In unserem Darm, auf unserer Haut leben unzählige Bakterien und sie können Ausgangspunkt einer Krankenhausinfektion sein, etwa wenn sie von der Haut über einen Zugang in die Blutbahn gelangen. Wir gehen davon aus, dass lediglich bei etwa einem Drittel der Fälle die Erreger von einem Patienten auf den anderen übertragen wurden.

SPIEGEL ONLINE: Auf welchem Weg geschieht Letzteres?

Gastmeier: In der Regel durch Klinikpersonal, wenn die Handhygiene nicht ausreichend war - dann können Erreger von Frau Lehmann zu Herrn Müller wandern. Hier gibt es übrigens gute Nachrichten von unserer Aktion "Saubere Hände"  , an der mehr als tausend Kliniken teilnehmen: In diesen Häusern hat sich der Verbrauch von Handdesinfektionsmitteln in den vergangenen Jahren ungefähr verdoppelt.

SPIEGEL ONLINE: Sinkt die Zahl der Krankenhausinfektionen durch die verbesserte Handhygiene?

Gastmeier: Wir haben zuletzt 2016 und davor 2011 Daten veröffentlicht, die Fallzahl ist leicht gesunken. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Kliniken mehr Hygiene-Fachkräfte eingestellt haben. Dazu waren sie aufgrund geänderter Gesetze verpflichtet.

SPIEGEL ONLINE: Auch wenn die Kliniken Hygiene-Spezialisten beschäftigen, herrscht doch in vielen Häusern Personalmangel. Wie trägt der zum Problem bei?

Gastmeier: Da gibt es einen Zusammenhang. Wenn die Arbeitsbelastung für Mitarbeiter immer größer wird, passieren eher Fehler oder die Handhygiene wird vergessen.

SPIEGEL ONLINE: Welcher Teil der Krankenhausinfektionen wäre denn bei optimalen Hygiene- und Arbeitsbedingungen vermeidbar?

Gastmeier: Etwa ein Drittel. Dafür müssen wir eine Kultur zu schaffen, in der die Handhygiene eine absolute Selbstverständlichkeit ist. So wie man sich im Auto anschnallt, egal ob ein Alarm ertönt oder nicht.