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Energiewende Der Kohleausstieg hat Vorrang

Kohlekraftwerke wie das in Boxberg in der Oberlausitz gelten als CO2-Schleudern
Kohlekraftwerke wie das in Boxberg in der Oberlausitz gelten als CO2-Schleudern
© Getty Images
Die Große Koalition hat bei der Energiewende gepatzt. Claudia Kemfert fordert von der neuen Regierung den sofortigen Kohleausstieg. Nur so seien die Klimaziele noch zu erreichen.

Das Zeugnis, das die Wähler der letzten Regierung ausgestellt haben, macht deutlich, dass die Versetzung in die nächste Legislaturperiode leider nicht erfolgen kann. Schlechte Noten gab es nicht zuletzt im Fach Energiewende. Ausbau erneuerbarer Energien: gedeckelt. Kohleausstieg: verpasst. Atomausstieg: angestrebt. Energiesparen: nicht teilgenommen. Gebäude-Effizienz: verschlafen. Energieeffizienzziele: verfehlt. Verkehrswende: weggedieselt. Gesamtnote: mau.

Die alte Regierung hat gebummelt und geschummelt, Pflichtstoff ignoriert und kaum eine Hausaufgabe gemacht. Durch diese vielen Versäumnisse steigen die Emissionen statt zu sinken. Der Anteil erneuerbarer Energien wurde erhöht, aber leider weit unter den Möglichkeiten. Das Weltklasseniveau konnte so leider nicht gehalten werden. Das muss sich ändern. Aber dalli!

Die neue Regierung wird einiges nachholen müssen. Oberste Priorität hat der Kohleausstieg : Er muss sofort eingeleitet werden – und bis spätestens 2030 abgeschlossen sein. Der Anfang ist leicht, in dem man die ältesten und ineffizientesten Kohlekraftwerke sofort abschaltet. Sie sind schlichtweg überflüssig und wurden die letzten Jahre nur aus Angst um Wählerstimmen laufen gelassen. Das hat eh nicht geklappt, jetzt kann man die CO2-Schleudern auch abschalten.

Einspar- und Wachstumspotenzial

Nur so wird man das Klimaziel – 40 Prozent Emissionsminderung bis 2020 – überhaupt noch erreichen können, da alles andere deutlich länger als zwei Jahre dauert. Trotzdem gilt es auch bei der Energieeffizienz von Gebäuden und einer nachhaltigen Verkehrswende keine Zeit zu verlieren. Mit beidem könnte sich die neue Regierung leicht Sporen verdienen, denn hier liegt gleichzeitig Einspar- und Wachstumspotenzial. Wenn es gelingt, durch kluge Förderung die Heizkosten von Wohnungen zu senken, reduziert sich nicht nur die „zweite Miete“ Wohnnebenkosten, sondern es profitiert auch die Baubranche. Und mit einer nachhaltigen Verkehrspolitik könnte die künftige Regierung nicht nur die Staus von den Straßen, sondern auch die in den Köpfen auflösen: Denn Ladestationen und Glasfasernetz, Carsharing und Industrie 4.0, E-Mobility und E-Learning sind aus dem gleichen Geist des 21. Jahrhunderts geschnitzt.

Im nächsten Koalitionsvertrag könnten und müssten also Klimaziele und Kohleausstieg verbindlich festgeschrieben sein, ebenso wie ein Maßnahmenplan zur Digitalisierung und Verkehrswende. Wer will, findet Wege; wer nicht will, findet Gründe.

Das starke Abschneiden der AfD – und die damit verbundene Reaktion der Alt-Parteien – ist allerdings ein Desaster für den Umwelt- und Klimaschutz. Statt zum Beißreflex, um die absurde Theorien abzuwehren, neigen manche Politiker nämlich aus plumpem Futterneid zur spontanen Nachahmung. Die einfältige Chamäleon-Methode hätte für die Klima- und Energiepolitik schlimme Folgen. Wie keine andere Partei steht die AfD für eine rückwärtsgewandte Energiepolitik. Sie ist wissenschaftsfeindlich und Fakten-resistent. Wenn FDP und CDU/CSU – wie im Wahlkampf leider immer wieder angedeutet – nun meinen, der AfD die Butter vom Brot nehmen zu können, indem sie dasselbe ranzige Brot auftischen, dann werden sie in punkto Klimaschutz und Zukunftsfähigkeit großen Schaden anrichten.

Die Hoffnung ruht auf den Grünen

In Nordrhein-Westfalen kann man derzeit ablesen, was uns blühen würde, wenn die fossilen CDU-FDP-Kräfte auf Bundesebene das Sagen hätten: Dort will die neue Regierung das Klimaschutzgesetz kippen, den Ausbau der Erneuerbaren drosseln und investitionsfeindliche Mindestabstandsflächen für Windanlagen festlegen. Vollbremsung für die Energiewende! Dabei stottern wir doch schon jetzt über die Kreuzung.

Man kann nur hoffen, dass nicht ausgerechnet in der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt, dem angeblichen Motor Europas, solche fossilen Dinosaurier das Sagen bekommen. Das Ende des Klimaschutzabkommens von Paris würde dann in Berlin eingeläutet.

In diesem Schreckensszenario obliegt es den Grünen die schwere Aufgabe die Kräfte der Moderne, die es auch in CDU und FDP gibt, zu mobilisieren und mit ihnen gemeinsam die Energiewende auf Trab und den Verkehr nachhaltig in Bewegung zu bringen. Die Kanzlerin hat im Wahlkampf versprochen, die Klimaziele bis 2020 zu erreichen. Auch FPD-Chef Lindner hat noch am Wahlabend betont, dass sich die FDP zum Pariser Abkommen bekenne. Das wird allein mit einer liberalen Modernisierung der Autobranche nicht zu schaffen sein. Es braucht einen konsequenten Umstieg zu Elektromobilität und klimaschonender Antriebstechnik. Es braucht den Ausstieg aus der Kohle und den zügigen Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Leider basiert der furiose FDP-Wahlerfolg auf einer exzellenten, aber teuren Werbekampagne. Der Dank der Liberalen gebührt demnach Geldgebern im Hintergrund, also eventuell genau den Ewiggestrigen, die jetzt nochmal in die Besitzstandswahrung überkommener Privilegien investiert haben. Der FDP-Slogan „Denken wir neu“ macht allerdings Hoffnung. Denken wäre nämlich ein guter Anfang. Wenn Deutschland nicht den Anschluss an die Moderne verpassen will, brauchen wir eine Politik, die den Mut hat das Neue, aber Undankbare zu denken: Atom und Kohle war gestern; wir brauchen Klimaschutz und eine Zukunft, in der wir auch morgen noch gut und gerne leben.

Claudia Kemfert
Claudia Kemfert
© dpa

Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Ihr neues Buch "Das fossile Imperium schlägt zurück - 
Warum wir die Energiewende jetzt verteidigen müssen" erschien am 20. April 2017. (Foto: dpa)

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