Elternfrage: "Siehst du", sprudelte kürzlich mein Fünfzehnjähriger ganz ungewohnt los, "in Norwegen gibt's jetzt Computerspiele im Unterricht, auch mit Ballern und so – und wenn einer dem Lehrer virtuell einen Kopfschuss verpasst, wird er von dem sogar gelobt". Im Unterricht hatte seine Klasse über einen Zeitungsartikel zum Thema diskutiert. Muss ich befürchten, dass mein jüngerer Sohn demnächst ganz offiziell an Killerspiele gerät? Und müsste ich mich dann damit abfinden?

Was Sie schildern, klingt wie Fake-News erster Güte. Ja, gewaltverherrlichende Computerspiele sind als Freizeitbeschäftigung weit verbreitet. Aber das kann ja nun wirklich schlecht als Grund dafür herhalten, diese auch in den Kanon sinnvoller Bildungsinhalte aufzunehmen – sonst wäre noch manch anderes makabre Unterrichtsfach denkbar. Nein, umgekehrt wird ein Schuh daraus: Gegenüber der Flut verrohender digitaler Angebote darf und muss gerade die Schule als Schutzraum verstanden und bewahrt werden. Allein übermäßiger Medienkonsum birgt ja nach neuester Forschung erhebliche Entwicklungsrisiken.

Zwar liest man in regelmäßigen Abständen, die attraktiven Onlinespiele würden strategisches Denken und Treffsicherheit trainieren. Aber wollen wir das wirklich für unsere Kindern: eine an Gewaltmustern "geschulte" Persönlichkeit? Natürlich lässt sich wissenschaftlich keine unmittelbare Kausalität herstellen, derart dass aus jedem virtuellen Ballerer zwangsläufig ein Amoktäter wird. Aber seelische Verrohung und Abstumpfung werden in vielen Fällen durch häufigen Konsum begünstigt.

Der Bundesfachverband Deutscher Psycholog(inn)en BDP jedenfalls warnte im vergangenen Jahr davor, den Einfluss von Ballerspielen auf die Gewaltbewertung und -bereitschaft von Heranwachsenden zu verharmlosen. "Genau wie die Produktwerbung im Fernsehen das Kaufverhalten im Supermarkt beeinflusst, wirkt sich das Töten und Verletzen im Rahmen von Killerspielen auf Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen im echten Leben aus. Gewalterfahrungen im realen Leben und in den Medien verstärken sich gegenseitig und führen nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig zu einer positiven Bewertung von Gewalt." Und je intensiver solche Spiele gespielt werden, umso größer wird das Risiko für manche Jugendliche, auch mal selbst zum Täter zu werden – oder zumindest Gewalttaten anderer zu billigen, also nicht zu verhindern.

Aber solche Persönlichkeitsveränderungen bei Jugendlichen sind nicht alles. Medienforscher und Kriminologen zeichnen genau nach, dass die Konzentrations- und Empathiefähigkeit leidet, wenn Jugendliche massiv gewaltverherrlichende Spiele spielen. Außerdem ist der Jugendliche oft Teil einer ungünstigen Clique, in der er sein Ansehen steigert, indem er (virtuelle) andere verletzt, quält, tötet.

All diese Effekte treten zwar vor allem nach eigenen familiären Gewalterfahrungen auf. Aber das macht die Sache nicht besser. Und dann sind da ja auch noch die Faktoren Zeitverlust und Bewegungsmangel. Junge Menschen sollten eigentlich nicht Stunde um Stunde mit innerer Anspannung und gekrümmtem Rücken in destruktiven Aktivitäten versinken – sondern sich bilden, sich bewegen, sich befreunden.

Und damit wären wir beim Stichwort häusliche Verantwortung. Viele Eltern (die meisten Lehrer übrigens auch) haben keinen blassen Schimmer davon, was ihre jüngeren und älteren Sprösslinge medial so treiben. Manche Medienexperten raten deshalb: In Kinderzimmern sollten keine Bildschirme stehen, ein Smartphone nicht zu früh in Kinderhände kommen, die Internetnutzung begrenzt und kontrolliert werden.

Eigentlich müssten sich Eltern beim Thema Gewaltspiele überhaupt öffentlicher einmischen. Etwa einen kritischen Kommentar schicken, wenn sie auf Zeitungsbeiträge oder Fernsehsendungen stoßen, die wie von der Spieleindustrie gekauft wirken. Bei Wahlen seine Stimme nur solchen Parteien geben, die beim Stichwort Jugendschutz mehr als das wohlfeile Gerede von Eigenverantwortlichkeit und Medienkompetenz zu bieten haben. Oder auf dem Elternabend vehement Einspruch erheben, wenn die Schule auf die Schnapsidee verfallen sollte, einen Modellversuch wie in Norwegen vorzuschlagen.