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Spitzel-Affäre um Nestlé "Das war klassisches Profiling"

In der Schweiz sprechen sie von "Nestlégate": Der Lebensmittelkonzern soll einen Spitzel in die Lausanner Ortsgruppe des Netzwerks Attac eingeschleust haben. Die Aktivistin Béatrice Schmidt erklärt im Interview, warum sie jetzt Schadensersatz von Nestlé fordert.
Attac-Aktivistin Schmid: "Wir rechnen damit, dass Nestlés Spionage verurteilt wird"

Attac-Aktivistin Schmid: "Wir rechnen damit, dass Nestlés Spionage verurteilt wird"

Foto: NICHOLAS RATZENBOECK/ AFP

Es war eine Begegnung zwischen zwei Welten. Vor dem Bezirksgericht in Lausanne traf der Lebensmittelgigant Nestlé Ende Januar auf die Globalisierungskritiker von Attac. Der Nahrungsmittelkonzern hatte die Lausanner Aktivisten von 2003 bis 2005 durch die Sicherheitsfirma Securitas bespitzeln lassen. Damals arbeitete die Attac-Gruppe an einem kritischen Buch über Nestlé. Die Affäre flog 2008 auf. In einem Zivilprozess fordern die Ausgespähten nun Schadenersatz wegen der Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte. SPIEGEL ONLINE sprach mit Béatrice Schmid, 38, einer der damals ausspionierten Attac-Aktivistinnen.

SPIEGEL ONLINE: War dieser Prozess für Sie eine Genugtuung?

Schmid: Einerseits ja, denn nicht nur die Spionin selbst, sondern auch Securitas und Nestlé mussten die Infiltration einräumen. Öffentlich, im Gerichtssaal. Das war die Sache auf jeden Fall wert. Die Akten aus dem früher bereits eingestellten Strafprozess und die jetzige Verhandlung haben gezeigt, dass Nestlé die Observierung wollte und mit der eigentlichen Arbeit dann Securitas beauftragte.

SPIEGEL ONLINE: Und andererseits?

Schmid: Andererseits ist für uns alles jetzt noch mal hochgekommen. Manche hatten damals Schlafprobleme, einige fühlten sich noch jahrelang überwacht. Eine von uns war schwanger und hatte eine Frühgeburt. Die drei Frauen, die uns aushorchten, saßen ja öfter bei uns zu Hause am Tisch. Ganz persönliche E-Mails sind weitergeleitet worden. Die haben ja ein klassisches Profiling über jeden von uns vorgenommen, haben Informationen über Aussehen, Charakter und Arbeitsplatz abgeliefert.

SPIEGEL ONLINE: Hat der Nahrungsmittelgigant am Ende womöglich sein Ziel erreicht? Die damalige Attac-Arbeitsgruppe hat sich aufgelöst.

Schmid: Attac wurde durch die Infiltration geschwächt und Nestlés Versuch, uns zu kriminalisieren, hat Spuren hinterlassen. Einige Mitglieder wollten aus Angst vor Spionage nicht mehr kommen.

SPIEGEL ONLINE: Hat Nestlé sich zumindest entschuldigt?

Schmid: Im Gegenteil, die stellen sich ja noch immer als Opfer dar und rechtfertigen die Aktion mit der damals angeblich drohenden Demolierung ihres Hauptsitzes durch Aktivisten wie José Bové. Doch mit jener Demo von französischen Bauern hatten wir überhaupt nichts zu tun. Wir haben lediglich an einem Buch gearbeitet.

SPIEGEL ONLINE: Eine der damaligen Securitas-Mitarbeiterinnen mit dem Decknamen "Sara Meylan" erschien mit schwarz gefärbten Haaren, Lederjacke und Kapuze vor Gericht und verteidigte ihre Arbeit als eine Art Auftragsjob - die Nestlé-Verantwortlichen von damals schienen dagegen weniger auskunftsbereit?

Schmid: Ja, die hatten immer wieder erstaunliche Erinnerungslücken. Aber sie haben sich auch selbst entblößt: Der damalige Vize-Pressechef Marcel Rubin etwa erinnerte sich daran, dass der für die Aktion verantwortliche Securitas-Mann ihn mit "Sara Meylan" besucht habe. Er habe aber keine Ahnung gehabt, meinte er, dass diese Frau bei uns infiltriert worden sei. Allein das ist schon absurd. Als sie ihm dann ihre Passagen zum Thema Kaffee vorlegte, die sie für unser Buch schreiben sollte, habe er sie dann aber gern ein wenig korrigiert. Meint er zumindest. Tatsächlich mussten wir diese völlig unkritischen Passagen noch mal richtig überarbeiten.

SPIEGEL ONLINE: Die Observation bei Attac war offenbar kein Einzelfall?

Schmid: Nein, sie ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Aktivisten der Volksinitiative "Schweiz ohne Armee" wurden kürzlich ebenfalls infiltriert und gerade hat eine Schweizer Sicherheitsfirma einem französischen Atomkonzern bei der Bespitzelung von Greenpeace geholfen.

SPIEGEL ONLINE: Fraglich scheint die Strafbarkeit dennoch?

Schmid: Das Problem ist immer, so etwas zu beweisen. Genau deshalb ist unser Prozess so wichtig. Bisher sah es ja so aus, als ob solche Aktionen in der Schweiz ohne Sanktionen bleiben würden. Wir rechnen aber damit, dass in unserem Fall Nestlés Spionage verurteilt wird.

Das Interview führte Nils Klawitter

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