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Frauenangst vor Flüchtlingen Wie konnte das passieren?

Müssen Frauen Angst haben, weil mehr Flüchtlinge im Land sind? Eine nüchterne Debatte darüber haben alle demokratischen Parteien verweigert. Ein Plädoyer für politisches Umdenken.
Demo in Köln (Archivbild 2016)

Demo in Köln (Archivbild 2016)

Foto: Oliver Berg/ dpa

Zunächst die Fakten. Vergangenen Freitag wurde eine 16-Jährige in Oberbayern von mehreren Männern vergewaltigt, die Verdächtigen stammen aus Afghanistan. Vor zwei Wochen wurde eine Frau aus Rosenheim vergewaltigt, als sie durch den Park joggte, unter Verdacht steht ein abgelehnter Asylbewerber aus Nigeria. In Bonn steht ein Mann aus Ghana vor Gericht, weil er ein zeltendes Paar mit einer Säge bedroht und die Frau vor den Augen ihres Freundes vergewaltigt haben soll.

In Dessau sitzen vier Männer aus Eritrea in U-Haft. Ihnen wird vorgeworfen, eine 56-Jährige vergewaltigt zu haben, als diese Flaschen sammelte. Ein syrischer Flüchtling soll seine 20-jährige Ex-Freundin schwer misshandelt, mit Zigaretten verbrannt und mit Messern gestochen haben. Im September begann der Prozess gegen einen Afghanen, der in Freiburg eine nach Hause radelnde Studentin gewürgt, vergewaltigt und in einen Fluss gelegt haben soll. Die Frau ertrank.

Bleiben wir bei den Fakten. Sexuelle Gewalt gibt es überall, sie ist ein Teil von Deutschland, sie war es schon immer. "Biodeutsche" Väter, Brüder, Söhne, Nachbarn, Ehemänner, Lebenspartner, Bekannte, Unbekannte verüben Vergewaltigungen, man kann die Zahl jedes Jahr in der Kriminalitätsstatistik nachlesen. Vergewaltigt wird in der eigenen Wohnung, in der katholischen Kirche, in der Ehe, auf dem Oktoberfest, auf der Uni-Toilette, in der Nachbarschaft, auf dem Festival, nach der Disko. Die Täter kommen aus allen Bevölkerungsgruppen.

Der eine Teil - diese konstante Realität sexueller Gewalt - ist eine uralte Tatsache. Der andere Teil - die von Zuwanderern begangenen Taten der jüngeren Zeit - ist aktueller. In den vergangenen zwei Jahren kamen Hunderttausende Flüchtlinge ins Land. Unter ihnen viele junge Männer, die größte Risikogruppe für Kriminalität.

Wächst die Gefahr sexueller Übergriffe damit automatisch? Und wie konnte es passieren, dass sexuelle Übergriffe durch Rechtspopulisten instrumentalisiert - und von demokratischen Parteien vernachlässigt wurden? Antworten darauf sind heikel, weil es selten Raum gibt, die Lage nüchtern zu betrachten. Versuchen wir es.

1. Die Debatte über Flüchtlinge und Frauengewalt ist vergiftet.

In der letzten bundesweiten Kriminalitätsstatistik Ende April lagen Zuwanderer, wie schon in den Vorjahren, in einigen Feldern deutlich über dem Schnitt - unter anderem bei Vergewaltigungen. Die Zahl dieser Taten ist angestiegen, Ausländer sind überproportional vertreten, und die meisten Täter sind weiterhin Deutsche.

Doch die Zahlen mischen sich mit einem abstrakten Gefühl des Unwohlseins. Wer nach Vergewaltigungsfällen sucht, wird häufig auf Verdächtige stoßen, die nicht in Deutschland geboren sind. Auch, weil jedes Kleinstadtverbrechen binnen Minuten zehn-, zwanzig-, hunderttausend Smartphones im ganzen Land erreicht. Seit den Vorfällen der Kölner Silvesternächte gibt es zudem eine höhere Wachsamkeit, dass aggressive Männergruppen - im Fall von Köln überwiegend mit Migrationshintergrund - eine reale Bedrohung für Frauen sein können.

Es gibt in dieser Gemengelage nicht wenige Frauen - die Autorinnen dieses Textes zählen sich dazu - die das Asylrecht verteidigen und Rassismus ablehnen. Die aber durch die Häufung und die Brutalität der einzelnen Fälle verunsichert sind und genauer überlegen, ob der Radweg durch den Park strategisch günstig liegt. Die sich manchmal für diesen Gedanken schämen. Diese Frauen finden keine Partei, die die Situation breit und konstruktiv thematisieren würde.

2. Schuld daran sind auch die demokratischen Parteien.

Dabei ist der Schutz von Frauen ein urlinkes Thema. Selbst Linke, Grüne und SPD besetzen es im Zusammenhang mit Flüchtlingen aber nicht offensiv. Das haben sie in den vergangenen zwei Jahren höchstens halbherzig und verdruckst getan. Denn wenn sich die Rechte von Frauen mit dem Thema Flüchtlinge vermischen, tun sich diese Parteien schwer mit klaren Ansagen. Zu groß ist die Furcht vor dem Rassismusvorwurf, wenn man die Herkunft der Täter und Probleme, die vielleicht mit dieser zu tun haben, thematisiert.

Besonders eindrücklich zeigte sich dieses Hadern nach den sexuellen Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2015. Die Grünen vermieden es in den ersten Tagen, die mutmaßliche Herkunft der Tätergruppen konkret zu thematisieren. Die Linke Katja Kipping sprach zwar von einem "üblen, männerbündischen Exzess" - und lenkte gleich wieder vom eigentlichen Thema ab: Sexismus sei keine Importware, sondern fest verankert in Europa. "Es muss auch eine Integration für deutsche, gewalttätige Männer geben", sagte sie. Auch die damalige Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) blieb in dieser Frage blass.

Während das linke Lager ein Vakuum hat entstehen lassen, nutzte es das rechte und konservative Lager populistisch aus. Allen voran die AfD, aber nicht nur sie: Zahlen zu sexuellen Übergriffen in Bayern stellte die CSU-Regierung verzerrt dar und korrigierte sie erst, nachdem sie massenhaft verbreitet waren.

Schon die allgemeine Debatte ums Frauenbild im Islam verläuft schräg: Konservative fordern besonders laut ein Burkaverbot und spielen sich als Hüter der Frauenrechte auf, obwohl sie das sonst eher nicht tun. Viele linke Feministinnen hingegen erklärten die islamistische Vollverschleierung zur harmlosen Folklore.

Während die eine Seite weitgehend schweigt, missbraucht die andere Frauenrechte und Frauengewalt aus politischem Kalkül. Das ist eine gefährliche Mischung. Sie spaltet und verhindert Lösungen.

3. Wir brauchen eine neue, ehrliche Debatte ohne Hass.

Angela Merkel hat im Wahlkampf auf einen Vergewaltigungsfall in Rosenheim reagiert. Aber erst, als sie darauf angesprochen wurde. Martin Schulz ließ Kritik an der ungleichen Bezahlung von Männern und Frauen plakatieren, aber sprach ebenfalls nur über sexuelle Übergriffe speziell durch Flüchtlinge, wenn er in Wahlarenen danach gefragt wurde.

Was wir aber brauchen, ist eine souveräne, vernunftgetriebene Debatte. Parteien und Spitzenpolitiker sollten über Fakten sachlich die Größe des Problems benennen. Sie sollten offensiv fragen, ob etwa Präventionsarbeit anders aussehen muss als bei "biodeutschen" Tätern, ob es bestimmte Brennpunkte gibt, die Handeln erfordern.

Sie sollten es dabei unterlassen, einen Gegensatz aufzumachen zwischen "den Flüchtlingen" und "den deutschen Frauen" - wie es etwa der Grünen-Politiker Boris Palmer fahrlässig tat, als er über "blonde Professorentöchter" sprach.

Sie sollten stattdessen zwischen den "Anständigen" - also der großen Mehrheit der Männer und Frauen, Zuwanderer und Nicht-Zuwanderer - auf der einen Seite und den "Verbrechern" auf der anderen unterscheiden.

Sie sollten sich gleichzeitig politisch intensiv um jene Flüchtlinge kümmern, die verunsichert sind von neuen Rollenbildern - in Schulen, in Integrationskursen, in Ausbildungsbetrieben. Sie sollten diese Verunsicherten nicht zu potenziellen Tätern machen, wie es die AfD tut. Und sie sollten die Ängste von Frauen ernst nehmen, nicht schüren.