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Bis der Abrissbagger kommt. Die Tages des einstigen Gloria-Palasts sind gezählt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Filmstadt Berlin: Der alte Glanz des „Gloria“

Der frühere Filmpalast an der Gedächtniskirche wird bald endgültig verschwinden – Zeit, sich seiner stolzen Geschichte zu erinnern.

Glanz und Elend liegen oft dicht beieinander. Wer der rund 1200 Premierengäste, die am 1. April 1930 im alten Gloria-Palast am Kurfürstendamm der umfeierten Premiere des „Blauen Engels“ beiwohnten, hätte gedacht, dass zu dessen Vorgeschichte auch eine schallende Ohrfeige gehörte? Jedenfalls hat das Opfer Peter Kreuder, damals noch am Anfang seiner Komponistenkarriere, den Großschauspieler Emil Jannings dessen bezichtigt. Kreuder, Arrangeur der von Marlene Dietrich vorgetragenen Lieder, war von Regisseur Josef von Sternberg angewiesen worden, nach „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ etwa 15 Meter Schwarzfilm einzukleben, um dem Publikum hinreichend Gelegenheit zum Applaudieren zu geben. Als Jannings dies bei einer Probeaufführung mitbekam und seine Rolle als vermeintliche Hauptperson des Films gefährdet sah, tobte er erst, verlangte von Kreuder das Entfernen des Füllmaterials und, als dieser sich weigerte, langte er zu. Der Schwarzfilm blieb trotzdem drin, er reichte für den tosenden Applaus bei weitem nicht aus.

Auch solch eine für die Entwicklung des deutschen Films belanglose, die Beteiligten aber charakterisierende Anekdote gehört zur Geschichte des längst geschlossenen, doch einst glanzvollen Kinos Gloria-Palast am Kurfürstendamm 12/13, dessen letzte Spuren in den kommenden Wochen getilgt werden. Wie berichtet, soll das denkmalgeschützte Gebäude wegen seiner schlechten Bausubstanz abgerissen und durch ein neues Geschäftshaus ersetzt werden. Nur einige Insignien früherer Kinoherrlichkeit könnten in einem Museum Aufnahme finden, allen voran wohl die Lichtreklame mit dem Namen. Die ist allerdings ein recht sperriges Objekt, die Stiftung Deutsche Kinemathek hat bereits dankend abgewinkt: Kein Platz.

Mit Murnaus "Tartüff" wurde das Kino eröffnet

Die Geschichte des Kinoorts begann am 25. Januar 1926, als der erste Gloria-Palast mit der Premiere von Friedrich Wilhelm Murnaus „Tartüff“ eröffnet wurde. Man hatte das Lichtspieltheater nachträglich in das erste Romanische Haus, westlich der Gedächtniskirche, hineingebaut – das zweite mit dem berühmten Romanischen Café befand sich gegenüber, etwa dort, wo heute das Europa-Center steht. Der Gloria-Palast war ein prunkvolles Kino, eines der ersten Häuser Berlins, so recht geeignet für Ufa-Premieren wie die des „Blauen Engel“ Anfang April 1930, mit der die Weltkarriere von Marlene Dietrich begann, oder ein halbes Jahr später von „Die Drei von der Tankstelle“ mit Lilian Harvey, Willy Fritsch, Heinz Rühmann und Oskar Karlweis.

In der Nacht zum 23. November 1943 war es mit dieser Herrlichkeit zu Ende: Alliierte Bomben zerstörten das Romanische Haus und damit auch das Kino. Auch die alte Gedächtniskirche ist seither eine Ruine. Doch bereits im November 1948 gab es eine Wiedergeburt des Kinos, wenngleich nur provisorisch und an neuem Ort: „Das Theater am Kurfürstendamm soll vorübergehend in ein Kino umgewandelt werden, das, unter der Leitung des Direktors der Film-Bühne Wien, die Tradition des früheren Gloria-Palasts fortsetzen soll“, meldete der Tagesspiegel. Die britische Militärregierung habe eine entsprechende Lizenz erteilt, eröffnet werde mit Helmut Käutners Komödie „Der Apfel ist ab“.

Acht Uhr abends. Zur Eröffnung der Berlinale 1956 im Gloria-Palast kam auch Gary Cooper.
Acht Uhr abends. Zur Eröffnung der Berlinale 1956 im Gloria-Palast kam auch Gary Cooper.

© Günter Bratke/dpa

Ein kurzes, fast vergessenes Intermezzo. Bereits am 1. Januar 1953 hieß es am ursprünglichen Standort wieder: „Vorhang auf!“ Die Victoria-Versicherung hatten sich dort ein neues Geschäftshaus errichten lassen, samt neuem Gloria-Palast, nicht mehr mit 1200 Plätzen wie der Vorgänger, aber die ursprünglich 954 Sitze in dem in den Hof hineinragenden Saalbau konnten sich auch sehen lassen. An die Stelle der alten barocken Pracht war das „Kunstwollen der fünfziger Jahre“ getreten, wie der amtierende Landeskonservator gut drei Jahrzehnte später formulierte: viele geschwungene Linien also, gekurvte Wände, das Prinzip „Nierentisch“ im Kinoformat.

Zur Generalprobe streikte der Vorhang

Eröffnet wurde mit der Filmoperette „Im weißen Rössl“, und anders als bei der Generalprobe – da hatte der Vorhang noch gestreikt – ließ sich diesmal alles bestens an. Glorreiche Kinojahre folgten, zeitweise als Haupthaus der Berlinale, bevor diese 1957 in den neuen Zoo-Palast wechselte, dem Vorgänger aber weiterhin die Treue hielt. Zeitweise wurde auch der Bundesfilmpreis im Gloria-Palast verliehen, den Ernst Reuter als „eines der repräsentativsten Filmtheater der Stadt“ gepriesen hatte und den Willy Brandt zur Zehn-Jahres-Feier als „Mosaikstein in der weltstädtischen Fassade des Kurfürstendamms“ rühmte.

Es gab dort aber auch traurige Stunden, so nachdem im Februar 1958 eine Nachtvorstellung des Films „Das Wirtshaus im Spessart“ plötzlich abgebrochen wurde. Der Geschäftsführer eilte in den Vorführraum und entdeckte, dass „ein Vorführer nicht ganz gesund und der andere leicht angetrunken war“, wie die Direktion mitteilte. Ein zunächst komischer, dann tragischer Zwischenfall: Wenige Tage später tötete sich der betrunkene, inzwischen entlassene Filmvorführer mit Gas. Und er hatte an dem verunglückten Abend doch nur die ihm zugesagte Gehaltszulage mit einem Kollegen begießen wollen.

Der Traum von Italien. 1961 läuft im Gloria-Palast Federico Fellins "Das süße Leben".
Der Traum von Italien. 1961 läuft im Gloria-Palast Federico Fellins "Das süße Leben".

© Klaus Winkler/dpa

Der Trend zur Aufteilung der großen Filmpaläste ging auch am Gloria-Palast nicht spurlos vorbei, wenngleich mit moderaten Folgen. 1971 wurde der Saal renoviert und um etwa 150 Plätze geschrumpft, doch zwei Jahre später kam im Erdgeschoss das Gloriette mit 190 Sitzen wieder dazu. 1985 schien das Kino dann zum ersten Mal vor dem Aus zu stehen. Der Flachbau zur Linken sollte abgerissen und durch ein höheres Geschäfts- und Wohnhaus ersetzt werden, Pläne, denen der in die anvisierte Baufläche ragende Kinosaal im Wege stand.

Streit um das "Kunstwollen der fünfziger Jahre"

Es entstand eine lange, heftig geführte Diskussion um die Schutzwürdigkeit des Gloria-Palasts, in deren Verlauf die Formulierung „Kunstwollen der fünfziger Jahre“ fiel und in die sich auch der Leiter der Berliner Festspiele, Ulrich Eckhardt, und der langjährige Berlinale-Chef Alfred Bauer einmischten. Kompromisse wurden gefunden und wieder über den Haufen geworfen, zum Schluss kam es „nur“ zu einem Abriss des Kinosaals, der danach „verschränkt“, wie es hieß, wiederaufgebaut wurde – in moderner, nicht etwa in historischer Form, wie es eine Zeitlang im Gespräch gewesen war. Das Haupthaus wie auch der Nierentisch-Look des Foyers blieben dagegen erhalten, geschützt als Baudenkmal.

Gegen wirtschaftliche Probleme, in die die Ku’damm-Kinos nach der Wende bald gerieten, half der Denkmalschutz allerdings auch nicht weiter. Der Einzelhandel, speziell der Modesektor, warf einfach mehr ab als ein noch so schönes Kino, dazu kam die Konkurrenz der Multiplexe. Auch der Gloria-Palast war dagegen nicht gefeit, die Zuschauerzahl sank von 1994 bis 1998 um die Hälfte. Der Kinobetreiber zog die Reißleine, verzichtete auf die Restlaufzeit des bis ins Jahr 2000 abgeschlossenen Mietvertrages. Am 15. August 1998 war Schluss, aus dem Kino- wurde ein Konsumpalast.

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