Zum Tod des israelischen Biologen Amotz Zahavi

In der Natur gibt es Merkmale, die es laut der Darwinschen Evolutionstheorie eigentlich nicht geben dürfte. Es war der Biologe Amotz Zahavi, der diesen Widerspruch in den 1970er Jahren auflöste.

Andreas Diekmann
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Amotz Zahavi im Jahr 2005. (Bild: Wikimedia Commons)

Amotz Zahavi im Jahr 2005. (Bild: Wikimedia Commons)

Wissenschaftliche Durchbrüche erfolgen oft, wenn sich «Anomalien», also wissenschaftliche Puzzles, die mit herkömmlichen Theorien nicht erklärbar sind, häufen. Alarmrufe von Vögeln angesichts von Räubern warnen zwar die Artgenossen, aber lenken auch die Aufmerksamkeit auf den Rufer und verringern, so scheint es zumindest, dessen Überlebenschancen. Zur Freude menschlicher Beobachter vollführen Buckelwale kühne Sprünge, um mit lautem Getöse wieder ins Meer zu tauchen. Arabische Graudrosslinge überbieten sich regelrecht in Freundlichkeiten gegenüber nichtverwandten Artgenossen. Und schliesslich der Pfau mit seinem schönen Federkleid: Lange Schwanzfedern erschweren das Beutemachen und gleichermassen die Flucht vor Fressfeinden.

Reduzierte Fitness

Alle diese Verhaltensweisen und Eigenschaften sollten eigentlich im Sinne der klassischen Evolutionstheorie Darwins nicht auftreten. Da sie die Fitness reduzieren, müssten die den Eigenschaften zugrunde liegenden Genprogramme über kurz oder lang aus dem Genpool verschwinden. Der israelische Zoologe Amotz Zahavi (1928–2017) hat mit bahnbrechenden Arbeiten Mitte der siebziger Jahre und dem heute berühmten Handicap-Prinzip eine Erklärung geliefert, warum es diese Verhaltensweisen und Eigenschaften trotzdem gibt.

Die Fitnessverluste sind zwar ein Handicap; ihnen stehen aber durch die glaubwürdige Signalisierung unbeobachteter Eigenschaften Fitnessgewinne gegenüber, die das Handicap mehr als ausgleichen. Die langen Schwanzfedern des Pfaus zum Beispiel sind ein Signal der Gesundheit. Die weiblichen Partner erkennen das Signal und wählen bevorzugt Pfauen mit ausgeprägt schönem Federkleid. Alarmrufe signalisieren einem Räuber, dass die potenzielle Beute kräftig genug ist und dieser sich besser einem Beutetier widmen sollte, das mit geringerem Energieaufwand erlegt werden kann.

Zahavis Handicap-Signaltheorie war anfangs stark umstritten, stiess aber nach der mathematischen Formalisierung durch Alan Grafen auf zunehmende Akzeptanz in der Fachwelt. Im Grunde handelt es sich um eine weitreichende Signal- und Kommunikationstheorie, die zahlreiche Eigenschaften und Verhaltensweisen von Organismen erklären kann. Kern der Theorie ist, dass nur mit Kosten verbundene Signale glaubwürdig sind. Nur wer sich das besagte Handicap «leisten» kann, ist auch tatsächlich Träger der attraktiven Eigenschaft. Erst die Kosten des Handicaps verleihen einem Signal Glaubwürdigkeit und vereiteln, dass Hochstapler das Signal imitieren.

Übertragung auf die Ökonomie

Die Signaltheorie wurde Anfang der siebziger Jahre parallel in den Sozialwissenschaften entwickelt. Der später mit einem Nobelpreis geehrte Ökonom Michael Spence zeigte in seiner Dissertation, dass mit Mühe und Talent erworbene Bildungszertifikate Arbeitgebern glaubwürdige Signale zur Qualifikation von Bewerbern vermitteln können. In der Spieltheorie wurden die Ideen von Spence und Zahavi mit dem Konzept des «separierenden Signalgleichgewichts» verfeinert. Intuitiv erahnt wurde die Bedeutung von Signalen des sozialen Status bereits von dem Ökonomen und Soziologen Thorstein Veblen in der «Theorie der feinen Leute» Ende des 19. Jahrhunderts. Aber erst die Arbeiten von Spence in der Ökonomie und von Zahavi in der Biologie haben zur Entwicklung einer elaborierten Signaling-Theorie geführt, die zahlreiche Anwendungen und Varianten in Sozial- und Naturwissenschaften inspiriert hat.

In seinen letzten Lebensjahren hat Zahavi die Theorie auf die Evolution molekularer Strukturen angewandt. Auch den altruistischen Graudrosslingen in Kolonien der Negev-Wüste ist er als ornithologischer Beobachter noch im Alter von fast neunzig Jahren treu geblieben. Geehrt wurde er nicht nur für seine wissenschaftlichen Leistungen, sondern auch für die Gründung der israelischen Naturschutzorganisation und sein jahrelanges Engagement für den Naturschutz. Ein mit ihm geplantes Seminar an der ETH zur Signaling-Theorie mit Biologen und Sozialwissenschaftern musste aufgrund seiner Erkrankung abgesagt werden.

Amotz Zahavi ist am 12. Mai in Tel Aviv gestorben.

Andreas Diekmann ist Professor für Soziologie an der ETH Zürich.