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Zum Tode Hans Werner Kettenbachs Ein passionierter Menschenforscher

Krimi-Deutschland trägt Trauer: Mit 89 Jahren ist der Kölner Schriftsteller Hans Werner Kettenbach gestorben, ein Meister des genau gefügten Plots. Persönlich gefärbte Erinnerungen.
Hans Werner Kettenbach (1928-2018)

Hans Werner Kettenbach (1928-2018)

Foto: imago/ Dieter Bauer

Wir haben uns bis zuletzt beiderseits um ein Treffen bemüht, haben über zehn Jahre hin Dutzende Male miteinander telefoniert und davon geredet - gesehen aber haben wir uns nie.

Jetzt ist der Kölner Krimischriftsteller Hans Werner Kettenbach 89-jährig verstorben - und mir bleibt nun nur noch die Hoffnung, dass es denn dereinst dort mit dem von uns vielbeschworenen Treffen klappen möge, wo er nun ist.

Denn mit dem Alten zu reden, der zuletzt viele Jahre an seinen Rollstuhl gefesselt in seiner Kölner Wohnung festsaß und an neuen Plots herumdachte, war für mich, den jüngeren Schriftsteller, nicht nur unter schreiberischen Aspekten eine Freunde, sondern gerade deshalb so erstaunlich und gewinnbringend, weil am anderen Ende der Leitung einer saß, der - im Gegensatz zu den meisten anderen Kollegen - zuhören konnte, statt immer nur die eigenen Erfolge zu besingen. Kettenbach besaß, was den meisten anderen seiner Zunft abgeht: Empathie - und das neidlose Interesse an der Arbeit des Anderen.

Mag sein, dass ihn seine jahrzehntelang gemachten Erfahrungen als Journalist des "Kölner Stadt-Anzeigers", als dessen stellvertretender Chefredakteur er auch fungierte, das genaue Zusehen und Hinhören lehrten; wahrscheinlich aber gehörte es einfach zum Naturell dieses spät zum Schreiben von Krimis Berufenen, von sich absehen - und Interesse für die Schreibwelt eines Jüngeren entwickeln zu können.

Denn Kettenbach war wie die großen, nicht eben lautsprecherischen Helden all seiner wunderbaren Romane: einer, der intuitiv begriffen hatte, dass große, wirkliche Literatur nur mit Demut ihr gegenüber zu haben war. Und genauso schrieb er seine dann auch: leise und mit Bedacht - jeder Satz ein kleiner Drahtseilakt, jeder neue Plot ein neuerlicher Versuch, das in den Seelen seiner Figuren tobende Chaos ein bisschen besser zu verstehen. So betrieb er seine Kunst, nachdem er 1977 im Bastei Verlag mit dem Band "Grand mit Vieren" ein vielbeachtetes Krimidebüt gelandet hatte, bis zuletzt aus der Warte eines passionierten Menschenforschers, der dabei stets auf kritische Distanz zu sich und seiner Arbeit bemüht war.

Wer seine Bücher liest, versteht besser, warum Menschen tun, was sie tun

Romane wie "Glatteis", "Hinter dem Horizont", "Davids Rache" und "Schmatz oder die Sackgasse" etablierten den 1928 in Bendorf geborenen Autor schnell fest in der deutschen Krimilandschaft. Denn was der bald zu Recht mit Krimigrößen wie Patricia Highsmith, Eric Ambler und Georges Simenon verglichene Autor in all seinen von raffinierter Schlichtheit gezeichneten Büchern durchexerzierte, war durch die Maske des Kriminalromans hindurch betriebenes kritisches Menschenstudium - ähnlich einem Entomologen, der immer neu irgendwelche Falter unters Elektronenmikroskop legt, um ihr innerstes Wesen zu entschlüsseln.

Mit den Worten "Ein Großteil meiner Arbeit wurde von der Recherche beansprucht" hat er den Anteil seiner eigenen Kreativität regelmäßig kleingeredet. Tatsächlich aber war Kettenbach ein begnadeter Erfinder - ein Meister des genau gefügten Plots. Und wer sein Bücher liest, versteht plötzlich besser, warum Menschen tun, was sie tun. Und seien es auch noch so schreckliche Dinge. Wie in einer Nussschale zusammengedrängt finden sich darin Lug und Trug, Liebe und Verlangen, Niedertracht und, ja, bisweilen auch rohe Gewalt.

Gleichzeitig war Kettenbach ein Meister der Andeutung, einer, der seine Wortkamera im entscheidenden Moment ebenso sachte wie bewusst von den Ereignissen löste, um die Fantasie des Lesers in Gang zu bringen. Denn, klug wie er war, wusste er natürlich, dass das Nichtgezeigte das Interessante ist, das bewusst unterschlagene Detail. So erwiesen sich all seine Romane als große Verwirrspiele um Geahntes und Verschwiegenes, als kühle Charaden.

"Die meisten meiner Bücher sind der Frage geschuldet, was Wahrheit ist" sagte er einmal Sherlock-Holmes-haft. "Denn ich habe immer ein Wahrheitsproblem gehabt. Sowohl im Schreiben wie im Leben. Im Raum stand immer die Frage: Was ist Wahrheit, und wie kann man sie erkennen?"

Die früh verstorbene Frankfurter Schriftstellerlegende Jörg Fauser nannte Kettenbachs Arbeiten einmal zu Recht "sauber recherchierte Gegenwartsbefunde." Inszeniert aber hat er diese regelmäßig als faszinierende Vexierspiele. Dass ihre Produktion nun für immer gestoppt ist und Krimi-Deutschland Trauer trägt, macht die vorliegenden Bücher umso kostbarer.

Romane wie den mit Rod Steiger und Ned Beatty verfilmten "Minnie oder Ein Fall von Geringfügigkeit" oder "Zu Gast bei Dr. Buzzard", in dem er die Szenerie Savannahs zur Bühne eines hochemotionalen Ehe-Endspiels umbaute. Immer atmet der Leser von Hans Werner Kettenbachs Büchern die gleiche Luft aus Wahn, Entsetzen und Erkenntnis wie bei Hawthorne, Kafka oder Poe. Denn es ist unsere Welt, die wir darin abgebildet finden - eingefangen in Stillleben aus einer Horrorwelt.

"Ich habe immer darauf geachtet, dass in meinen Büchern das Maß an Spannung stimmt" hat er einmal zu mir gesagt. "Denn mein Auftrag ist es, zu unterhalten." Das war seine Art, während unserer Telefonate zu reden, nämlich einfach, unprätentiös und klar. Sie werden mir fehlen. Löschen aber werde ich seine Nummer nicht. Denn die Vorstellung, ich könnte sie wählen und ihn wenig später auf seine rheinische Art sagen hören: "Tag, Herr Henning, was macht das Schreiben?" hat etwas Herzerwärmendes. Und so denke ich kindlich-naiv: Bis später, Kett!