Nachruf
Zum Tod von Marianne Eigenheer – Abschied von einer Naturgewalt

Späte Anerkennung, früher Tod: Die in Basel wohnhafte Künstlerin Marianne Eigenheer ist überraschend gestorben.

naomi gregoris
Drucken
Lebte in Basel: Marianne Eigenheer beim Betrachten ihrer Arbeiten.zvg

Lebte in Basel: Marianne Eigenheer beim Betrachten ihrer Arbeiten.zvg

Sandra Then

«Wir können es alle noch gar nicht fassen.» Stefan von Bartha klingt bestürzt. In seiner Basler Galerie wartet eine grosse, frisch gestrichene Wand auf die Hände einer Künstlerin, die jetzt doch nicht kommt: Marianne Eigenheer ist in der Nacht auf Dienstag mit 72 Jahren überraschend verstorben. Sie hinterlässt eine Tochter – und Reihen von schockierten Menschen. Sein Telefon stehe nicht mehr still, sagt von Bartha, der am Donnerstag nach Absprache mit der Trauerfamilie die Meldung auf Facebook und Instagram publik machte. «Marianne war eine unglaublich soziale, wundervolle Frau und sehr präsent in der hiesigen Kunstszene.»

Wer sich umhört, kriegt das bestätigt. Eine «lebhafte Feministin» sei sie gewesen, voller Energie und Pläne, erinnert sich Kunsthalle-Direktorin Elena Filipovic, die Eigenheer erst kürzlich in ihrem Studio besuchte. «Eigentlich mehr wie eine junge Künstlerin.» Nadine Wietlisbach, Direktorin des Fotomuseums Winterthur, nennt Eigenheer eine Naturgewalt, der Zürcher Künstler Karim Noureldin eine Frau mit einer «Wahnsinnsenergie».

Vom Klavier an den Zeichentisch

Eigenheer wird am 20. April 1945 in Luzern geboren und früh ans Klavier gesetzt. Dort will sie auch bleiben, will Komponistin werden, aber «es hiess, das geht nicht, denn es gibt keine Komponistinnen und man verdient nichts», sagt sie 2011 im Gespräch mit Hans-Ulrich Obrist. Stattdessen geht sie an die Kunstgewerbeschule und macht das Diplom als Zeichenlehrerin. In ihrem letzten Jahr zeichnet sie kaputte Puppen ab, die sie am Strand in Italien gefunden hat. Die Puppen fallen auf, einer Person ganz besonders: Jean Christoph Ammann, dem damaligen Direktor des Kunstmuseums Luzern. Er ermuntert Eigenheer, weiterzumachen, an sich zu arbeiten – und bei ihm im Museum anzufangen. Sie wird seine wissenschaftliche Mitarbeiterin und beginnt sich kuratorisch zu betätigen, aber auch ihre eigenen Arbeiten (die erste Einzelausstellung hat sie 1970 in der Galerie Stampa) auszustellen, sich als Künstlerin zu behaupten – in einer schwierigen Zeit Anfang der Siebzigerjahre, wo Frauen noch nicht mal in die GSMBA, die Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten, eintreten dürfen. Eigenheer gehört in die Kunstwelt, aber richtig wohl ist es ihr darin selten. «Marianne hat sich bewusst dieser Welt verweigert», sagt Karim Noureldin, den Eigenheer als junger Künstler in den Neunzigern unterstützte. Sie sei eine inspirierende Mentorin gewesen, stets interessiert und von enormer Präsenz. Aber immer auch mit der Frage beschäftigt: Wo soll ich mich positionieren?

Die Frage führt sie an verschiedene Hochschulen, wo sie als Professorin lehrt, unter anderem in Frankfurt am Main, Stuttgart oder ihrem (neben Basel) zweiten Wohnsitz London. Mit den Jahren schwindet ihr Erfolg als Künstlerin und es scheint, als wolle sie es so, als reiche ihr der soziale Wert ihrer Arbeit. Mit ihrer Kunst schafft sie sich Kontakt zur Welt – und zu sich selbst. «Indem ich mich vor ein Papier setze und dann mit meiner eigenen Körpersprache den Kontakt zur Welt wieder finde», sagt sie 2011 zu Hans-Ulrich Obrist.

Wie wiedergeboren

Auch mit ihm steht sie in Kontakt, ständig, per E-Mail oder auf Instagram. «Sie war beeindruckend», sagt Obrist. An der letzten Art Basel hat er ihr Atelier besucht und war überwältigt von der Menge ihrer neuen Arbeiten, fast performative Zeichnungen seien das gewesen, wie ein einziges riesiges Tagebuch. Spuren der letzten Jahre, als Eigenheer eine Wiedergeburt erlebt. Das klingt pathetisch, aber alle, die sich an sie erinnern, nennen es so. Eine Wiedergeburt. Sie arbeitet unermüdlich, wird von Stefan von Bartha ins Programm aufgenommen, stellt im Museum aus. Bekommt endlich die Anerkennung, die ihr ihr Leben lang zustand. Auch das sagen alle.

«Eigentlich war es ja ein Drang», sagt Obrist, «eine ständige Suche nach einer Sprache für die eigene Biografie. Marianne hat immer ihren Zustand abgebildet.» Behalten wir das im Kopf, wenn wir uns ihrem letzten öffentlichen Gruss widmen, zwei Räumen im Kunstmuseum Basel Gegenwart. Im hinteren sind kleine Glasscheiben zu sehen, auf die Eigenheer Gedichte geschrieben hat, mit Aquarellfarbe, direkt aus der Tube, zack! Und davor ein stiller Raum, gross und hell, mit feinen Kreidezeichnungen, die wie ein Musikstück der Wand entlang laufen. Sie spielt uns ihr letztes Lied und es ist zart und stark, es ist sie, es ist ihre Wiedergeburt und ihr unendliches Leben.

Marianne Eigenheer (20. April 1945 bis 15. Januar 2018), zu sehen im Kunstmuseum Basel Gegenwart und in der Galerie von Bartha.