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Jakob Augstein

Große Koalition Festhalten! Rechtskurve!

Islam, Armut, Abtreibung: Kaum im Amt, blinkt die GroKo schon nach rechts. Merkel ist nur noch Kanzlerin auf Abruf. Für die Zeit nach ihr hat schon der große Wettbewerb in Dumpfbackigkeit begonnen.
Die Mitglieder des neuen Bundeskabinetts

Die Mitglieder des neuen Bundeskabinetts

Foto: Michael Kappeler A4265/ dpa

"Haut'se, haut'se, immer auf die Schnauze!" Das ist ein Motto, das man bislang nicht mit Angela Merkels Politikstil in Verbindung brachte.

Dennoch nimmt das vierte Kabinett der Kanzlerin seine Arbeit mit ungewohnter Ruppigkeit auf. Islam, Armut, Abtreibung - die neue Regierung war kaum im Amt und hat gleich ein Feuerwerk rechter Knaller gezündet. Vielleicht ist das ein Zeichen für Merkels Kontrollverlust.

Oder Ausdruck einer allgemeinen Stimmung, die - in Abwandlung eines berühmten Präsidentenwortes - vor allem die eine Forderung hat: Durch Deutschland muss ein Rechtsruck gehen!

Horst Seehofer und Jens Spahn haben im Kabinett Merkel IV die Rolle der konservativen Knallchargen. Innerhalb weniger Tage hat der eine den Islam aus Deutschland ausgebürgert und der andere erst Hartz-IV-Empfänger als Heulsusen beschimpft und dann Schwangerschaftsabbrüche gegen Tierschutz aufgewogen. Politik der Mitte geht anders. Aber wer sagt, dass diese Regierung eine Politik der Mitte machen wird?

Es gehört zum Wesen der Union, zumeist das sogenannte gesunde Volksempfinden zu repräsentieren. Und das tendiert zurzeit nach rechts.

Im Internet kann man gerade eine "Erklärung 2018" lesen, in der heißt es: "Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird." Diese Leute reden vom Rechtsstaat - in Wahrheit wollen sie den Rechtsruck.

Vornweg laufen die üblichen Verdächtigen - Sarrazin, Broder, Lengsfeld -, es folgen jede Menge AfD-Sympathisanten und andere braune Socken. Und dann kommen lauter erzürnte Professores und Doctores, die saure Crème de la Crème des besorgten deutschen Bürgertums. Die können keine mildernden Umstände für sich geltend machen - schwere Ostkindheit, Angst vor Globalisierung oder so - die wissen genau, was sie tun: sie wollen das muslimreine Deutschland.

Und Horst Seehofer weiß auch, was er tut, wenn er solchen Leuten Zucker gibt. "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" - der Satz war absichtlich undeutlich, weil seine Bedeutung eine völlig andere ist, je nachdem, ob man ihn normativ oder deskriptiv versteht. Das weiß Seehofer natürlich.

Es kümmert ihn aber nicht. In Bayern ist Wahlkampf, Markus Söder hatte seinen ersten Tag in der Staatskanzlei - zwei gute Gründe, mal so richtig den Horst rauszulassen. Und wenn es um Muslime geht, gilt nicht nur in München der alte Satz vom Monaco Franze: A bisserl was geht immer.

Aber nicht die Muslime sind das Problem, sondern die Kartoffeldeutschen.

Leider sind ganz schön viele unter ihnen mürrisch, ängstlich, verwöhnt und hochmütig - und je dumpfbackiger der Populismus daherkommt, desto größer ist seine Aussicht auf Erfolg bei diesen Leuten. Horst Seehofers Zenit als Großpopulist liegt bereits hinter ihm - aber Jens Spahn hat seinen noch vor sich. Seine Äußerungen zu Hartz IV - ist keine Armut, kommt man super mit klar - konnte man vielleicht noch als typisch-kaltschnäuzigen Kapitalistenzynismus verbuchen, mit dem die Bessergestellten seit jeher auf die Armen herabschauen. Was er allerdings in der Debatte um den Paragrafen 219a gesagt hat, ging einen Schritt weiter: "Wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos. Aber in dieser Debatte wird manchmal gar nicht mehr berücksichtigt, dass es um ungeborenes menschliches Leben geht."

Wer wirbt denn für Abtreibung? Wovon redet Spahn? Werbung für Abtreibung wäre zum Beispiel: "Abtreibung: Das Beste am Norden." Oder: "Abtreibung... find' ich gut!" Vielleicht auch: "Abnehmen ohne Sport." Oder gleich wie in der L'Tur-Anzeige: "Nix wie weg!" Aber der neue Gesundheitsminister sollte wissen, dass es in der Diskussion nicht um Werbung geht, sondern um Information.

Natürlich weiß er das. Rechtspopulisten verkaufen ihr Publikum immer für dümmer, als sie selber sind.

Es ist einfach so, dass der junge Spahn sich schon mal warmläuft für den kommenden Wettbewerb in Dumpfbackigkeit. Und der wird kommen. Angela Merkels politische Tage neigen sich dem Ende zu. Die Kanzlerin ist jetzt umgeben von lauter Parteifeinden. Sie wollen ihr das Fell über die Ohren ziehen und es unter sich verteilen, noch bevor sie "Peter Altmaier" sagen kann. Wir sind selber schuld. Wir haben die Macht in den Händen einer Kanzlerin gelassen, die ihr Amt nur noch auf Abruf ausübt. Aber mit der Macht ist es eben so: ist ihr Ende erst einmal in Sicht, ist es in Wahrheit schon erreicht.

"Ich bin froh darüber, dass die Zeit der Unsicherheit und Verunsicherung vorübergeht", hatte Frank-Walter Steinmeier vor einer Woche gesagt. Es ist möglich, dass der Bundespräsident sich täuscht - diese Zeit beginnt erst.