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Wissenschaft Toxoplasmose und Co.

Wenn Parasiten Menschen in den Jähzorn treiben

Wenn das Kuscheln krank macht

Tierisches Gesundheitsrisiko: Wissenschaftler warnen vor allzu intensivem Schmusen mit Haustieren. Erreger und Parasiten können auch Menschen anstecken und Krankheiten auslösen.

Quelle: wochit

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Neuroparasiten verändern ihre Wirte: Sie kapern die Nervensysteme, verändern ihr Verhalten oder treiben sie in den Selbstmord. Auch Menschen können offenbar von winzigen Organismen manipuliert werden.

Hitzköpfe sind aus unterschiedlichsten Alltagssituationen bekannt. Doch unter Umständen kann mancher Wüterich nichts für sein Temperament. Eventuell zieht ein Parasit im Hintergrund die Fäden: So fand eine US-Studie, die kürzlich im „Journal of Clinical Psychiatry“ veröffentlicht wurde, einen Zusammenhang zwischen pathologischem Jähzorn und einer Infektion mit Parasiten der Art Toxoplasma gondii.

Diese sind weltweit verbreitet, kommen vor allem in rohem Fleisch sowie Katzenkot vor und lösen die weit verbreitete Infektionskrankheit Toxoplasmose aus. Diese kann bei Schwangeren zu Fehlgeburten und bei immungeschwächten Patienten zu Entzündungen im Gehirn und anderen Organen sowie zu Lähmungserscheinungen oder Krampfanfällen führen.

Kann die Katze „krankhaften Jähzorn“ übertragen?

Für die Studie untersuchten Neuropsychologen der Universität Chicago 358 Erwachsene, bei einem Drittel davon war krankhafter Jähzorn diagnostiziert. In dieser Gruppe waren mehr als doppelt so viele Menschen von T. gondii befallen wie in der Vergleichsgruppe.

Allerdings mahnen die Forscher zu Vorsicht bei der Bewertung ihrer Ergebnisse: „Wir wissen noch nicht, ob wirklich ein kausaler Zusammenhang zwischen Toxoplasmose und Jähzorn besteht, und nicht jeder, der positiv auf die Infektion getestet wird, hat Aggressionsprobleme“, sagt Emil Coccaro, einer der Autoren der Studie.

Jaroslav Flegr, Evolutionsbiologe an der Universität Prag, versteht die Skepsis: „Außergewöhnliche Behauptungen wie die, dass das Verhalten und die Persönlichkeit von einem Drittel der Menschheit durch einen gewöhnlichen Parasiten beeinflusst werden, brauchen außergewöhnliche Beweise.“ Tatsächlich gehen Experten davon aus, dass 30 Prozent der Weltbevölkerung mit T. gondii infiziert sind. Eine Studie des Robert-Koch-Instituts ergab, dass jeder zweite Deutsche den Erreger im Körper hat oder zumindest damit in Kontakt kam, bei den über 50-Jährigen gar über 70 Prozent.

Tatsächlich gaben schon frühere Studien Hinweise darauf, dass T. gondii mit Schizophrenie, bipolarer Störung und anderen Problemen in Zusammenhang stehen könnte. So sind infizierte Männer laut einer tschechischen Studie häufiger in Verkehrsunfälle verwickelt, während eine dänische Untersuchung eine erhöhte Suizidrate bei befallenen Frauen vermutet.

Nichtschwimmer stürzen sich in Gewässer

Bei Tieren ist die Verbindung zwischen der Infektion und selbstzerstörerischem Verhalten bewiesen: Infizierte Mäuse und Ratten fühlen sich von Katzengeruch angezogen und laufen ihren Fressfeinden quasi ins Maul. So stellt der Einzeller sicher, bei seinem Endwirt zu landen, in dessen Darm er sich vermehrt.

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Quelle: Die Welt

T. gondii ist nicht der einzige Neuroparasit, der rücksichtslos mit dem Leben seines Wirts umgeht: Der Saitenwurm Spinochordodes tellinii befällt Gemeine Eichenschrecken (Meconema thalassinum) und bringt die Nichtschwimmer dazu, sich in Gewässer zu stürzen. Hier brechen sie den Panzer ihrer ertrinkenden Wirte auf, um sich schließlich als Fadenknäuel auf die Suche nach Fortpflanzungspartnern zu begeben.

Das Virus LdMNPV hingegen infiziert die Raupen des Schwammspinners (Lymantria dispar), einer Nachtfalter-Art. Die Raupen verstecken sich eigentlich tagsüber in Baumrindenspalten vor Fressfeinden und kommen erst nachts zur Nahrungssuche hervor. Das Virus löst bei ihnen zunächst einen Fressrausch aus, der die Häutung zur Motte verhindert, und dann die Wipfelkrankheit: Mit letzter Kraft kriechen infizierte Raupen in die oberen Baumregionen, wo sie schließlich verenden. Ein Enzym des Virus sorgt dafür, dass sie sich verflüssigen und als infektiöse Flüssigkeit auf Blätter am Waldboden tropfen, wo sie von nicht infizierten Schwammspinner-Raupen gefressen werden.

Infizierte Ameisen werden lethargisch und faul

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Neuroparasiten können nicht nur einzelne Tiere manipulieren, sondern auch größere Gemeinschaften: So ergab eine Studie der Universität Mainz, dass der Bandwurm Anomotaenia brevis das Verhalten ganzer Ameisenkolonien beeinflusst. Das Team um die Evolutionsbiologin Sara Beros untersuchte Ameisen der Art Temnothorax nylanderi, die bereits im Larvenstadium von dem Wurm befallen werden. Der Parasit siedelt sich im Darm der Insekten an und vollendet seinen Lebenszyklus, wenn die Ameisen von einem Specht, seinem Hauptwirt, gefressen werden.

Erreger der Art Toxoplasma gondii unter einem Elektronenmikroskop
Erreger der Art Toxoplasma gondii unter einem Elektronenmikroskop
Quelle: Getty Images/Universal Images Group

Infizierte Tiere unterscheiden sich zum einen durch ihre gelbe Farbe von den gesunden, bräunlichen Artgenossen. Zum anderen sind sie lethargisch, verlassen das Nest nicht und beteiligen sich auch nicht an der Brutpflege. Dieses Verhalten hat Folgen für nicht infizierte Ameisen: Sie werden weniger aggressiv und kümmern sich um die kranken Arbeiterinnen.

Deren Phlegma macht diese langlebiger als ihre emsigen Artgenossen – das längere Leben erhöht allerdings auch die Chance, gefressen zu werden. Die mangelnde Bewegung führt zudem zu einer Muskelschwäche, die sich bei Spechtattacken rächt. Je mehr träge Ameisen in einem Nest stecken, umso größer die potenzielle Zahl der infizierten Insekten, die vom Specht gefressen werden.

Der „Zombie-Pilz“ zwingt Wirte auf den Waldboden

„Der Parasit ist wie ein Puppenspieler. Er zieht im Hintergrund die Fäden“, sagt Beros. Dabei steht der Bandwurm beispielhaft für viele Neuroparasiten, die zwei oder mehr Wirte für ihren Entwicklungszyklus brauchen, der im Endwirt seinen Abschluss findet.

Ein weiteres Beispiel aus der Ameisenwelt ist der Kleine Leberegel (Dicrocoelium dendriticum): Von ihm befallene Insekten verlassen bei Einbruch der Dunkelheit den sicheren Bau, um auf Grashalmen darauf zu warten, von einem Schaf gefressen zu werden. In der Leber dieses Endwirts vermehrt sich der parasitäre Saugwurm.

Noch perfider ist die Strategie des „Zombie-Pilzes“ Ophiocordyceps unilateralis: Er befällt tropische Rossameisen (Camponotini), die meist in Baumwipfeln nisten. Infizierte Tiere krabbeln den Baum herab auf Pflanzen nahe dem Waldboden, wo sie sich in Pflanzenadern an der Unterseite von Blättern festbeißen. In dieser Umgebung mit hoher Luftfeuchtigkeit und stabilen Temperaturen gedeiht der parasitäre Pilz prächtig. Er wächst binnen Tagen auf die doppelte Größe seines Wirts heran, aus dessen Kopf er schließlich herausragt. Die Sporen des Pilzes kontaminieren dann etwa einen Quadratmeter um den toten Wirt – ein Minenfeld für andere Rossameisen.

Aus scheuen Wesen werden Draufgänger

Den Willen von Lebewesen auszuschalten und sie gar in den Tod zu treiben erscheint wie eine hochkomplexe Aufgabe. Tatsächlich aber sind die meisten Neuroparasiten Würmer, Viren oder Einzeller. Trotz ihrer vermeintlich einfachen Struktur ist wenig darüber bekannt, wie sie ihre Wirte kontrollieren. Es wird vermutet, dass einige Einfluss auf das Gehirn ausüben, indem sie mit Botenstoffen die Dopamin- oder Serotonin-Ausschüttung ihrer Wirte anregen.

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Diese Steigerung kann aus scheuen Tieren furchtlose Draufgänger machen – etwa im Fall des ängstlichen Flohkrebses (Amphipoda). Wird der von Kratzwürmern (Acanthocephala) infiziert, taucht er bei Wasserbewegungen nicht reflexartig zum Meeresgrund, sondern schwimmt zur Oberfläche, wo er leichte Beute von Vögeln wird.

Andere Viren greifen das Immunsystem ihrer Opfer an und verändern so ihr Nervensystem. Im Fall der Schwammspinner-Raupe sorgt ein Virusgen dafür, dass ein spezielles Enzym frei wird. Dieses blockiert wiederum ein Hormon, welches der Raupe normalerweise signalisiert, mit dem Fressen aufzuhören und sich zur Motte zu häuten.

Können Neuroparasiten ganze Ökosysteme verändern?

Die Juwelwespe (Ampulex compressa) hingegen lähmt ihre Opfer, zu denen unterschiedliche Schabenarten gehören, indem sie ihnen einen gezielten Stich in einen zentralen Nervenknoten versetzt. Mit dem Stachel injiziert die Wespe der Kakerlake ein Nervengift ins Gehirn, wo jene Bereiche blockiert werden, die für Fluchtverhalten zuständig sind. An ihrer Antenne führt die Wespe ihr Opfer dann in ihr Nest, wo es als Lebendfutter für die Larven dient.

Die Frage, wie primitive Organismen wesentlich größere und komplexere Lebensformen manipulieren, ist noch weitgehend ungeklärt – und ein faszinierendes Thema für die Wissenschaft. Gerade Evolutionsbiologen vermuten einen wesentlich stärkeren Einfluss von Neuroparasiten auf Ökosysteme, evolutionäre Prozesse, das Verhalten von Tieren und vielleicht sogar Menschen als bisher angenommen.

Für Flegr, der schon seit Jahren die Folgen von Toxoplasmose erforscht, besteht kein Zweifel, dass eine Infektion mit dem Parasiten Auswirkungen auf das menschliche Verhalten hat, indem der Parasit die Gesundheit des Erkrankten beeinträchtige. In zumindest einigen Fällen, so Flegrs Vermutung, seien Änderungen des Verhaltens oder Hormonspiegels darauf zurückzuführen.

Neue Medikamente für psychische Krankheiten gesucht

Doch welchen Vorteil sollte T. gondii von einer Verhaltensänderung des Menschen haben? Schließlich gibt dieser den Parasiten nicht weiter, was dessen Hauptziel ist. Für Biologen ist der Parasit hier in eine evolutionäre Sackgasse geraten: Vor ein paar Tausend Jahren habe für den Menschen durchaus die Gefahr bestanden, von einer Raubkatze gefressen zu werden.

Bakterien in Mücken sollen Verbreitung stoppen

Das Zika-Virus wurde schon in mehr als 50 Ländern nachgewiesen. Jetzt setzen einige Wissenschaftler auf mit Bakterien infizierte Mücken. Mit ihnen soll eine Verbreitung des Erregers gestoppt werden.

Quelle: Die Welt

Während unklar ist, wie T. gondii menschliches Verhalten verändern könnte, fragen sich Wissenschaftler, ob es weitere Parasiten gibt, die ähnliche Einflüsse ausüben. Unabhängig davon lohnt die Forschung, denn Neuroparasiten nutzen die Biochemie sehr zielgenau. Das Verständnis, wie sie das tun, könnte die Entwicklung neuer Medikamente vorantreiben, etwa von Psychopharmaka.

Sollte sich zudem bewahrheiten, dass einige psychische Erkrankungen mit Neuroparasiten zusammenhängen, „dann sollte die Ursache dieser Erkrankungen wie zum Beispiel Toxoplasmose behandelt werden anstatt etwa Depression oder Schizophrenie, die dann nur Symptome einer Infektion wären“, so Flegr.

dpa

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